Exotische Materie – Vom sozialen zum politischen Antagonismus [Part II]

“In den ersten Monaten des Jahres 1978 und nach dem tragischen Ende von Aldo Moro ist ein ständiges Anwachsen der bewaffneten Gruppen und bewaffneten Aktionen zu verzeichnen. In die größten Formationen strömen hunderte von Militanten aus der autonomia diffusa und ganze Sektionen von Fabrikavantgarden, exemplarisch in dieser Beziehung ist die Geschichte der Brigade Walter Alasia in Mailand, deren Mitglieder zu großen Teil Jugendarbeiter waren.”… “In der ‘Resolution der strategischen Leitung’ vom April 1975 hatten die BR endgültig die Form des Selbstinterviews aufgegeben um sich mit einem offiziellen Dokument darzustellen, das danach strebte eine Art Generalprogramm in der Tradition der historischen Parteien der Dritten internationale zu sein. Schon diese Entscheidung, scheinbar formal, war bezeichnend für die Setzung der bewaffneten Organisation als hegemoniales Element in der Komplexität des aktuellen revolutionären Prozesses. Also nicht mehr eine bewaffnete illegale Gruppe als Bezugspunkt der radikalsten Erfahrung in der Klassenkonfrontation, sondern eine wirkliche Organisation, die, indem sie den ‘bewaffneten Kampf’ als einzige strategische Linie der Klassenkonfrontation, als ‘die Form’ der Revolution setzte, dazu tendierte, in ihrem Innern alle von der Komplexität der realen Bewegung produzierten Erfahrungen umzuinterpretieren. Eine strategische Entscheidung dieser Art konnte nichts anderes als eine drastische Reduktion der Komplexität und des Reichtums der organisatorischen Erfahrung bewirken und damit eine fortschreitende Gegenposition zu anderen Kampferfahrung provozieren, nicht nur in den Resten der außerparlamentarischen Gruppen, sondern auch in der diffusen und organisierten Autonomia.”

Die goldene Horde – Primo Moroni und Nanni Balestrini

Einer der Treppenwitze der Geschichte des militanten Antagonismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Westeuropa ist, dass die Rote Armee Fraktion, die sich zu jeder Phase ihres Bestehens aus nicht (wesentlich) mehr als ein, zwei Dutzend Genossen und Genossinnen zusammensetzte, erst Mitte der 90er in jene existentielle Krise geriet, die schließlich 1998 zu ihrer Selbstauflösung führte, während die Roten Brigaden (BR), die zu ihren Hochzeiten tausende Militante und Unterstützer zählten, schon 1980 die ersten Spaltungen erlebten, als sich die Mailänder Kolonne Walter Alasia von den BR lossagte, um zu ihren “operaistischen Wurzeln” zurückzukehren. Jene Überreste der BR (die Ende der 70er, Anfang der 80er aberhunderte von inhaftierten Militanten und ‘Abtrünnige’ und ‘Abschwörer’ zu verkraften hatten), die als BR-PCC (Kämpfende Kommunistische Partei) zusammen mit der RAF und der Action Directe (AD) die “westeuropäische Front” aufbauen wollten, hatte zu diesem Zeitpunkt Anfang der 80er schon praktisch jeglichen Rückhalt in den Fabriken des italienischen Nordens verloren und auch ihr Rückhalt in den Überresten “der Bewegung”, die an ihrem Höhepunkt über 100.000 Militante mobilisieren konnte, und die ebenso von der Repressionswelle gebeutelt war, war nur noch marginal. Folgerichtig erklärt die “historische Führung” der BR 1987 den bewaffneten Kampf für beendet, auch wenn verschiedenste Splittergruppen unter wechselnden Namen weiterexistieren und bis Anfang des 21. Jahrhunderts Aktionen durchführten. 

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Exotische Materie – Vom sozialen zum politischen Antagonismus [Part I]

“Dabei ist davon auszugehen, dass die transnationalen Konzerne in Konkurrenz zueinander stehen, aber es eben auch Überschneidungen ihrer Strategien gibt, insofern sie kein Interesse an Staaten haben, die ihnen den Zugang zu ihren Märkten erschweren oder gar verwehren.”

Achim Szepanski: Die Ekstase der Spekulation  

Friss oder stirb (selbst)

Nur kurze Zeit nachdem Trump die neuen Strafzölle für Importe verkündet hatte, deren Effekte für die US Wirtschaft den New Deal in den Schatten in den Schatten stellen sollen, brach an den US Börsen die Hölle aus. Beim S&P 500 Index, der die 500 wichtigsten börsennotierten US Unternehmen zusammenfasst, brachen in der Nacht zu Freitag die Kurse auf breiter Front ein und es kam zu Verlusten in Höhe von 2,8 Billionen Dollar. Die berühmten 1% traf es besonders hart, die 500 reichsten Menschen der Welt verloren an einem einzigen Tag über 200 Milliarden Dollar. Ironischerweise gehörten die Tech-Milliardäre Zuckerberg, Bezos und Musk zu den ganz großen Verlierern, allein Zuckerberg, der sich ebenso wie die anderen “jungen Wilden” zur Amtseinführung von Trump eingefunden hatte, verlor an seinem persönlichen “schwarzen Freitag” an die 18 Milliarden Dollar an Vermögenswerten. Die gesamte US Technologiebranche, die eigentlich der Motor zur Bewältigung der Kapitalverwertungskrise sein sollte und deren Kurse in den letzten Jahren durch die Erwartungen an die “KI-Revolution” unglaublich gehypt worden waren, hatte schon jüngst den Einbruch der Kurse durch die Präsentation des chinesischen Mosquito DeepSeek wegstecken müssen. Daniel Ives, Managing Director und Senior Equity Research Analyst für den Technologiesektor bei Wedbush Securities, einer der gefragtesten strategischen Analystengrößen sprach angesichts von Trumps Ankündigungen von Strafzöllen von einem “drohenden ökonomischen Armageddon”. Auch in Europa kam es als Reaktion auf den von Trump erklärten “Handelskrieg” (sowie der Reaktion der chinesischen Regierung, mit gleicher Münze heimzuzahlen) zu massiven Kurseinbrüchen an den wichtigsten Börsenplätzen. Der Dax gab um die 5% nach, auf gleicher Höhe bewegten sich die Kurseinbrüche des Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50. In der Wochenbilanz gaben die Dax Werte um 8% nach, der größte Absturz seit dem Beginn des Ukraine-Krieges. 

Wie schon in der Frage des Ukraine-Krieges geht Trump erneut All in. Und erneut verbindet er seine Drohungen mit der Aufforderung, sich mit ihm an den Verhandlungstisch zu setzen, um neue Modalitäten mit ihm auszuhandeln (Die Strafzölle für mexikanische und kanadische Produkte hatte er wieder “ausgesetzt”, nachdem ihm die Regierungen der beiden Länder in den Fragen der “Grenzsicherung” und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit entgegen gekommen waren.). Doch diesmal könnte er sich verspekuliert haben. Nicht nur, dass ihm die treue Gefolgschaft der Technologiebranche entfolgen könnte, auch die Big Player der weltweit agierenden Investmentfonds von BlackRock und Co werden eine dauerhafte Vernichtung ihrer Vermögenswerte nicht tatenlos hinnehmen und Trump zu einer Kurskorrektur zwingen, bzw. verstärkt in den westeuropäischen Markt investieren, auf dem sie stabilere und berechenbarere Rahmenbedingungen vorfinden. Wie schon in “Wurmlöcher des Antagonismus” ausgeführt, wird Trumps Strategie die geopolitische, wirtschaftliche und militärische Ordnung grundlegend umgestalten, insofern vollzieht der neue Kurs der US Regierung nur die überfällige Korrektur, die aus der Verwertungskrise und dem Konflikt um die Hegemonie mit China folgt, ob diese Korrekturmaßnahmen allerdings von Erfolg gekrönt sein werden, oder die Figuren auf dem Schachbrett ganz anders und entgegen der Vorstellungen von Trump neu aufgestellt werden, steht auf einem anderen Blatt. Trump wird also entweder seine Anpassungsfähigkeit an die Gesetze des Marktes auch in der Rolle des politischen Leaders beweisen müssen (was ihm in seiner ersten Amtsperiode mit wesentlich bescheideneren Ambitionen gelungen ist) oder er wird nur eine Randnotiz der Geschichte bleiben, gezügelt und gekränkt kastriert von den Gesetzen des Marktes. So oder so, die Tendenz zum Krieg, der Übergang vom „permanenten Ausnahmezustand” zum “permanenten (latenten) Kriegszustand” ist in die Gesetzmäßigkeiten der Verwertungskrise des Kapitals eingeschrieben und nicht das Ergebnis der Boshaftigkeit “alter, weißer Männer”. Jegliche gesellschaftliche antagonistische Option sollte sich auf das dringlichste von solchen moralisierenden Weltbildern verabschieden und sich auf der Grundlage einer materialistischen Analyse konstituieren.

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Wurmlöcher des Antagonismus (Part II – Subjektivismus und Klasse) 

Sommer 2023, die Unruhen, die begannen, nachdem ein Bulle den 17jährigen Nahel Merzouk am hellichten Tage mit Schüssen aus seiner Dienstwaffe in einem Vorort von Paris exekutiert hatte, enden wie auf ein geheimes Zeichen hin genauso plötzlich, wie sie landesweit aufgeflammt waren. Der französische Arbeitgeberverband bilanziert Sachschäden in Milliardenhöhe, dutzende Polizeiwachen sind in Brand gesetzt worden, hunderte Schusswaffen aus Waffengeschäften, aber auch aus Beständen der Polizei, haben im Zuge der Unruhen die Besitzer gewechselt. Nach den Gründen für das Ende der Unruhen befragt, äußern einige Protagonisten des Geschehens gleichlautend “weil es nichts mehr zu plündern gab”. Was auf den ersten Blick als flapsige Bemerkung daher kommen mag, ist in Wirklichkeit die brillante Analyse der Partei, die von ihrem historischen Entstehen noch keine Vorstellung hat. 

Der Sommer 2023 markiert den Höhe – und Endpunkt der weltweiten Revolten, Aufstände und unvollendeten Revolutionen, deren Flammen sich in den letzten 15 Jahren durch den Globus gefressen haben, entfacht in den Slums und ländlichen Nirwanas des Maghreb. Sich jeglicher Repräsentanz verweigernd, in der Programmatik schlicht und einfach auf den Umsturz “des Regimes” (gleich welcher Spielart) abgestellt, sich selber sammelnd um zentrale Begriffe wie Würde und Freiheit, rasend vor Wut (die Klasse, die sich ihrer selbst bewusst, aber keine Imagination ihrer Überwindung hat), wüten sich die Unruhen auch durch die Jahre des weltweiten Corona Ausnahmezustandes (der intuitive Begriff der Klasse davon, dass es sich um einen Angriff auf sie selbst handelt, in keiner Sekunde dem Gerede von der Fürsorge des Staates glaubend – was sie endgültig von jeglicher Verbundenheit mit der Linken befreit), nehmen in jener Zeit sogar an Fahrt auf, bringen das totalitäre Zero Covid Konzept der staatskapitalistischen chinesischen Führung nach über 2 Jahren Terror innerhalb von 48 Stunden durch sich explosiv ausbreitende Unruhen zu Fall, ein letztes Mal als historische Reminiszenz stürmen Hunderttausende im Juli 2022 den ”Winterpalais” von Colombo. 

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Wurmlöcher des Antagonismus (Part I – Polykrise und Hybris)

Trump geht all in, die europäischen Militärhaushalte werden explodieren, der neue Liberalismus, eben noch von Döpfners Schreibstube enthusiastisch abgefeiert, ruft nun besorgte Stimmen auf den Plan, die verzweifelt fragen, wo Europa mit seinen Abermilliarden Euros neue Waffensysteme kaufen soll, da den europäischen Generalstäben bewusst wird, dass praktisch alle modernen Waffensysteme ständige Updates benötigen, die im Zweifelsfall die US amerikanischen Hersteller verweigern könnten, wenn die Divergenzen eine bestimmte Fallhöhe erreichen sollten. Die Franzosen setzen seit Jahrzehnten auf eigenständige Waffenentwicklung – und Produktion, was eben noch als postimperialer Größenwahn einer ehemaligen Weltmacht erschien, die spätestens 39 in die reale Bedeutunglosigkeit gefallen war, ist nun der neue Sound der westeuropäischen Aufrüstung. Die Tendenz zum Krieg hat schon vor Jahren die Agenda des grünen Kapitalismus abgelöst, nur eine blasierte kleinbürgerliche deutsche Blase, von der grünen Partei bis in die sogenannten postautonomen Vorfeldorganisationen hat dies immer noch nicht realisiert. Und nein, die Zeitenwende ist nicht der Ausbruch des Ukraine Krieges, sondern die Perspektivlosigkeit des Kapitalismus in seiner Verwertungskrise, die immer neue Blasen produziert, die alle, latent instabil, jederzeit die gesamte soziale Zusammensetzung in den Metropolen innerhalb von Wochen, vielleicht sogar Tagen, zusammenbrechen lassen können, 2008 war im Vergleich dazu nicht mal eine Vorahnung eines Vorbebens, der Absturz an den Tech Märkten am Tage des Triumphes von DeepSeek kommt einer Simulation der kommenden apokalyptischen Reiter der Märkte wohl eher näher, nicht in den Dimensionen, aber in der Geschwindigkeit und dem unvermittelten Aufprall. Im Grunde spielt es keine Rolle ob Trump die Strafzölle für kanadische oder mexikanische Importe beibehält, reduziert, oder wieder ganz zurücknimmt – ob und wie lange er seinen Hofnarren Musk noch an seiner Tafel Platz nehmen lässt, der es sich in Verkennung der wirklichen Machtverhältnisse schon innerhalb von wenigen Wochen mit der Hälfte der Regierungsmitglieder verscherzt hat (in den Führungsetagen von BlackRock & Co lacht man sich eh scheckig über die neuen libertären Pausenclowns Musk, Milei und Co mit ihren Marsbesiedlungsplänen und Kettensägenmassakern, billiger Unterhaltungstrash der von den wirklichen strategischen Entscheidungen der wirklichen Big Player ablenkt, die die eigentliche Politik, auch von Trump, diktieren und diktieren werden) – die wirklich interessanten Fragen sind die Positionierungen im Kräftemessen zwischen China und den USA, in diesem Kontext kommt auch Russland ins Spiel, und das ist auch eine der möglichen Optionen der USA: Russland wieder in den Kreis der Großmächte aufzunehmen und so den Riss zwischen China und Russland zu verbreitern, eine strategische Triangel ist immer ein schwierig zu bespielendes Feld, politisch, wirtschaftlich und militärisch.  „Wurmlöcher des Antagonismus (Part I – Polykrise und Hybris)“ weiterlesen

Freiheit und Glückauf!

Wir, Brüder der Vietnamesen, wir, Schwestern der Indianer, wir, Töchter Kambodschas, wir, Söhne Annams. Wir, mit der Wut im Bauch. Wir, mit dem Hass im Kopf, wir, mit der Liebe zueinander. Wir, die Roten Ratten, die Pinscher, die Ungeheuer, bezahlt aus dem Osten, die Rauschgiftsüchtigen, die Monomanen, wir, die Psychopathen, Terroristen, raubenden, plündernden und brandschatzenden Anarchosyndikalisten. Wir, die jeden Schlag am eigenen Leiber erfahren, der in Huế oder Kent-State ausgeteilt wird….FÜR ALLES REAKTIONÄRE GILT DASS ES NICHT FÄLLT, WENN MAN ES NICHT NIEDERSCHLÄGT! Da sind Wir! 

Peter-Paul Zahl – Die Glücklichen 

An dem gleichen Tag, an dem der Aufruf für eine Demonstration Ende Februar 2025 in Solidarität mit Daniela Klette veröffentlicht wird, macht der Spiegel mit der Schlagzeile auf: “Daniela Klette soll im Untergrund Kontakt zu Christian Klar gehabt haben”. Alles, was dann folgt, ist das Wiederkäuen der Mutmaßungen der Staatsanwaltschaft Verden in der Anklageschrift für den Prozess gegen Daniela, dass sich dies “lebensnah” aus der Tatsache ergeben würde, dass Christian Klar eine Zeit lang “in unmittelbarer Nähe” zu Danielas Wohnung am Moritzplatz gewohnt habe. Wobei “die unmittelbare Nähe” nach den scharfsinnigen Schlußfolgerungen der Staatsanwaltschaft Verden 1,5 km beträgt. Halb Kreuzberg ein Terrornest! Das wusste BILD schon in den 80er. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll, aber das ist wirklich das Niveau, auf dem sich die Berichterstattung der bürgerlichen Medien zu dem Ganzen bewegt. Nicht nur der Staatschutzapparat lässt den permanenten Ausnahmezustand des “Krieges der 6 gegen 60 Millionen” der 70er und 80er wiederaufleben, wenn er SEK Kommandos mit MP im Anschlag Ausflugsdampfer entern lässt, auch die Medien überschlagen sich seit der Festnahme von Daniela Klette vor einem knappen Jahr mit ebenso dumpfer wie oberflächlicher Berichterstattung, die sich nicht einmal bemüht zu übertünchen dass es sich im Kern um billigste Propaganda handelt. Man wartet nur auf den ersten Aufruf, sich des Abends auf den Balkonen zu versammeln, um unserer Demokratie und ihren Beschützer, den Helden der Polizei, lautstark Beifall zu zollen. 7

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Freiheit und Glück den alten Weggefährten

Laut Medienberichten vom 7. Januar 2025 hat die BAW nun Anklage gegen Peter Krauth und Thomas Walter wegen des gescheiterten Anschlags auf den Neubau eines Abschiebeknastes im Jahr 1995 erhoben. Der nächste Versuch, die beiden Genossen wegen der Aktion des K.O.M.IT.E.E 30 Jahre später doch noch zu belangen, obwohl das eigentliche Delikt schon verjährt wäre. 

Jenseits der juristischen Details zeigt sich hier, ebenso wie bei der Repression gegen die militanten antifaschistischen Zusammenhänge im Zusammenhang mit dem sogenannten Antifa Ost Verfahren und bei der medialen Hetzjagd auf ehemalige Militante der RAF nach der Festnahme von Daniela Klette das Verhältnis des Staates zu allen ernst gemeinten Versuche, hierzulande Ansätze einer antagonistischen Politik zu entwickeln, die sich nicht integrieren lässt. 

Der Staat und seine ausführenden Organe vergessen und vergeben nicht, auch deshalb ist es so wichtig, die eigene Geschichte lebendig zu halten und zu verteidigen und nicht nur eine melancholische Randnotiz von in die Jahre gekommenen Genossinnen und Genossen.  

Deshalb an dieser Stelle ein Kapitel aus „Begrabt mein Herz am Heinrichplatz“ das der Aktion in Berlin Grünau gewidmet ist. Hintergründe zu dem damaligen Ereignissen und der Solidarität mit den verfolgten Genossen, die seit Jahrzehnten in Venezuela im Exil leben findet ihr auf dem Blog ende-aus.net

Dreiundvierzig / April 1995

Ein abgelegener Parkplatz in einem Waldstück am Rande von Berlin. Eine Bullenstreife fährt vorbei, routiniert gelangweilt der Blick vom Beifahrersitz. Etwas macht klick. Der VW Bulli wendet und kommt zurück. Auf dem Parkplatz stehen ein blauer Passat und ein roter Ford Transit, die Ladetüren des Transporters stehen offen. Eine routinierte Meldung über Funk, die beiden Bullen steigen aus. Der Fahrer die rechte Hand am Holster, der Beifahrer in der Linken eine große Stabtaschenlampe.  „Freiheit und Glück den alten Weggefährten“ weiterlesen

In Erinnerung an meinen Freund und Genossen Achim Szepanski

“es ist eine täuschung, zu hoffen, es sei genug, es könne nicht schlimmer mehr kommen”

Christian Geissler: Kamalatta

Es ist erst ein paar Stunden her, dass mich Dellwo – du hast immer von ‘Dellwo’ und nicht von Karl-Heinz gesprochen, obwohl ihr euch doch so nahe standet (was für Details einem immer einfallen…)- angerufen und erzählt hat, dass sie dich heute tot in deiner Wohnung vorgefunden haben. Ich weiß nicht, ob deine Seele nicht mehr wollte, oder der Körper, es spielt auch keine wirkliche Rolle. Ich weiß, dass es dir in letzter Zeit meistens ziemlich dreckig ging, Karl-Heinz und ich haben uns neulich noch am Rande der Veranstaltung zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes in Kreuzberg darüber unterhalten. Ich habe dich ja schon seit Jahren nicht mehr gesehen, wir haben uns nur häufiger geschrieben und ab und zu telefoniert. Wie überraschend weich da deine Stimme immer klang, ich glaube die Wenigsten habe eine Ahnung davon gehabt, wie feinfühlig du warst. Und wir beide wissen, mein Lieber, dass es die Feinfühligen sind, die am meisten verzweifeln über dieses Elend der Welt und das, was Menschen einander antun.  „In Erinnerung an meinen Freund und Genossen Achim Szepanski“ weiterlesen

Unsere Leichen leben noch

I have changed my name so often

I′ve lost my wife and children

But I have many friends

And some of them are with me

Leonard Cohen, The Partisan

Ein kühler Samstagabend in Kreuzberg. Das niedersächsische SEK lungert mittlerweile in Bereitstellungsräumen herum, in den Medien jeden Tag neue RAF Pornos, in denen der Voyeurismus der stumpfen Massen mit intimen Details über schmuddelige Sofaüberwürfe und schlechten Möbelgeschmack gefüttert wird. Der Ausnahmezustand, der im Corona Modus zum permanenten wurde, erlebte seine Wiederauferstehung im besiegten Nachfolgestaat des NS in den 70er Jahren bei der Killfahndung nach den Kadern der Stadtguerilla, bzw. im polizeilichen Kreuzfeuer, dass das Leben von etlichen Unbeteiligten forderte, die fälschlicherweise für solche gehalten wurden. Dass der Prozess der Staatsfaschisierung eben auf jeden fundamentalen Widerstand zielte, erlebte im Herbst 1977 auch die Anti-AKW Bewegung, als bundesweit über 10.000 Bullen, teilweise mit Maschinenpistole im Anschlag um die 75.000 (!) Fahrzeuge durchsuchten, um eine Demonstration gegen den schnellen Brüter in Kalkar zu verhindern, die dann trotz Verbot und Ausnahmezustand mit 50.000 Menschen direkt am Bauzaun stattfand. „Unsere Leichen leben noch“ weiterlesen

Menschenjäger, Schreibtischtäter

“Und jetzt lag er hier, gute zehn Jahre später und wusste um all die Zusammenhänge, sah den roten Faden, der sich durch sein Leben zog. Wusste alles und doch nichts. Dachte an alle, die da noch draußen in Illegalität unterwegs waren. Die untergetaucht waren, weil sie etwas grundsätzlich Anderes gesucht hatten oder einfach nur weil ihnen die Bullen dicht auf den Fersen waren. Es machte keinen Unterschied. Für sie alle gab es keinen Weg zurück mehr. Nicht in absehbarer Zeit.”

Die schönste Jugend ist gefangen, S. Lotzer 2019

Blendschockgranaten auf dem Wagenplatz, im Minutentakt überschlagen sich die Meldungen der Medien von der Menschenhatz in der Stadt, die ihre Seele schon vor langer Zeit an den Meistbietenden verkauft hat. Ein paar Worte der Liebe und Verbundenheit auf einer alten Sperrmüllmatraze eine Staatsaffäre. Das System wird jenen, die es gewagt hatten, aufzuzeigen, das der Kaiser wirklich nackt ist, wenn mensch es ernst meint mit dem “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist”, genau dieses Bloßstellung niemals verzeihen.

Die Hybris der Allmacht angekratzt, man kann eine unendliche Anzahl an Buchseiten mit den Verirrungen, Irrtümern, den Unmenschlichkeiten, auch und gerade unter denen, die aufgebrochen waren in den bewaffneten Antagonismus, später in den Frontprozess, füllen, aber da bleibt diese klammheimliche oder sogar offene Freude über die Sprünge im Panzerglas.  „Menschenjäger, Schreibtischtäter“ weiterlesen

Be Water My Friend

Die Dunkelheit fällt über die Stadt, im Minutentakt Sirenen am Kotti, ein Bullenhubschrauber steht über den Dächern, der übliche Partymob ist heute woanders unterwegs. Der Himmel beginnt sich in allen Farben des Feuerwerks zu färben und es sind noch fast sechs Stunden bis Mitternacht. Wer nichts hat oder alles verloren hat, vertreibt die Geister der Armut für ein paar Stunden. Mit jedem Schuss in die Sterne, die kein Versprechen halten. 

Am Zickenplatz ist der Kinderspielplatz von den Bullen mit Flutlicht geflutet, jeder Strauch ein potentieller Verbrecher. Am Kottbusser Damm zirkulieren jetzt die Wannen im Minutentakt, in der dunklen Seitenstraße die mattgrauen Transporterkolonnen der Bundespolizei, Warlords auf fremdem Territorium.  

An der Mündung zur Sonnenallee die Festung der Besatzungstruppen. Absperrgitter, Flutlicht, Wannen und Bullen so weit das Auge reicht. Der Bürgermeister und die Innensenatorin machen ihre Aufwartung, die Koalition der Willigen. Das jugendliche Surplusproletariat kümmert sich einen Scheiß um die Checkpoints, über Seitenstraßen und Hinterhöfe füllt sich der nicht mit  Flutlicht geflutete Abschnitt der Sonnenallee und um Mitternacht erleuchtet ein fulminantes Feuerwerk die ganze Strecke bis weit hinaus zur High Deck Siedlung, wo mehrere Hundertschaften auf der Lauer liegen.   „Be Water My Friend“ weiterlesen