Covid 19 – Aufstand oder Barbarei

Lotzer / Wu Ming

Part 1 (Lotzer) 

Nein sie sind nicht einfach Zuhause geblieben. Haben die Hände in den Schoss gelegt und ängstlich in sich hinein gehorcht. Weil sie sich das einfach nicht leisten konnten. Weil ihre Kinder was zu essen brauchen. Also haben sie sich an die gute alte Zeit erinnern, als sie dem Staat und den Fabrikherren, den Gutsherren ganz schön zugesetzt haben. Die wilden Jahren, “als wir alle Kommunisten waren”, wie der Nanni Balestrini geschrieben hat. Also ab in den Supermarkt und den Einkaufswagen vollgepackt und an der Kasse ein Schulterzucken “Bezahlt wird nicht”. Die Proleten aus dem Süden, auf die man immer ein bisschen hochnäsig herunter geschaut hat. Schon damals. 

Am nächsten Tag standen in Palermo Bullenwagen vor den Supermärkten. Aber das ist ja auch keine Lösung, es gibt einfach zuviele Supermärkte. Und wer weiß, was denen noch einfällt, diesen halben Bauern, auch wenn sie schon seit Generationen in den Städten leben. Also hat Conte mal eben fast 5 Milliarden locker gemacht für den Süden, die sollen über die Gemeinden an die prekär Beschäftigten ausgezahlt werden, weil die sind von dem einen zum anderen Tag nur noch prekär und nicht mehr beschäftigt. Wahrscheinlich wäre er nie selber auf die Idee gekommen, wenn ihm seine Geheimdienste nicht gesteckt hätten, sie würden mit schweren Unruhen im Süden rechnen. Und das mit dem proletarisch einkaufen hat denn ja auch gleich auf andere Städte des Südens übergriffen, in Bari und Napoli haben sie das Zeug auch einfach so raus geschleppt. Übrigens ganz ohne linke Agitatoren. 

Während hierzulande die radikale Linke wahlweise in Schockstarre gefallen ist oder sich auf appellative oder symbolische Handlungen reduziert, entfaltet sich im Windschatten der Corona Pandemie ein sozialer Taifun, dessen Auswirkungen die eigentlichen Folgen der Pandemie noch in den Schatten stellen könnten. Während Teile des weltweiten Staatsapparates des Empires Schritt für Schritt den Übergang in einen faschistischen Krisenmodus vollziehen, wobei nicht ausgemacht ist, ob dieser temporärer oder grundsätzlicher Art sein wird, werden innerhalb kürzester Zeit hunderten von Millionen Menschen jegliche Grundlagen entzogen die Mittel zur Existenzsicherung durch eigene Arbeit zu bestreiten.  „Covid 19 – Aufstand oder Barbarei“ weiterlesen

Der aufkommende Pandemie Faschismus – Splitter der Dissonanz

“Liewer düd aß Slaawe”

Pandemie Magie

In jedem Berliner Park eine Wanne. Die Besatzungen beäugen misstrauisch jede Aktivität Derjenigen, die sich in die Frühlingssonne gewagt haben. Drei Fußball spielende Kinder sind ein Grund einzuschreiten. Wir haben schon vor Jahren gelernt, ab Drei ist man eine terroristische Vereinigung. Nun also auch die Kinder. Völlig willkürliche Größenordnungen werden verkündet und durchgesetzt. Wir erinnern uns, noch vor ein paar Wochen versammelten sich Zehntausende in den Fußballstadien, da waren schon Tausende in China an dem Virus gestorben, der jetzt als Begründung für jegliche Absurdität des Pandemie Ausnahmezustandes herhalten muss. Drei Kinder sind eine Gefahr, fünfzig Menschen in einen S Bahn Waggon auf dem Weg zu gesellschaftlich unsinniger Arbeit sind kein Problem.  

Überhaupt, diese Magie der Zahlen, wie von Zauberhand verändern sich fast täglich die Bezugsgrößen. Zuerst wurden alle Versammlungen über 1000 Menschen verboten, dann alle über 100. Und natürlich betraf dies auch alle Demonstrationen. Dabei hätte man sich die Mühe sparen könne, eine in Ohnmacht und Unterwerfung geübte deutsche Linke sagte schon von sich alle Zusammenkünfte, selbst die der harmlosesten Natur ab. Und der kleine Rest, der abweichend davon sich nicht unterwerfen will, dem schickt man dann in Berlin eben die neue Präsenzeinheit in den ‘Nordkiez’ auf den Hals. Aber kommen wir zu der Magie der Zahlen zurück. Kommen wir überhaupt zu der gesamten Magie zurück, die die politische Klasse tagtäglich zu unserer Unterhaltung aus dem Hut zaubert. So als habe sie jahrelang nur für diese Momente der Magie geübt und gelebt. (Spoiler: Sie hat es. Seit Jahrzehnten finden Notstandsübungen unter wechselnden Szenarien statt.) „Der aufkommende Pandemie Faschismus – Splitter der Dissonanz“ weiterlesen

Die Waffe der Kritik kann nicht die Kritik der Waffen ersetzen

“das in dem milieu, in dem wir kämpfen – postfaschistischer staat, kosumentenkultur. metropolenchauvinismus, massenmanipulation durch die medien, psychologische kriegsführung, sozialdemokratie – dass gegen die repression, mit der wir es hier zu tun haben, empörung keine waffe ist. sie ist stumpf und hohl. wer wirklich empört, also betroffen und mobilisiert ist, schreit nicht, sondern überlegt sich, was man machen kann”

kassiber von ulrike meinhof, märz 1976

Warum schreibt der Mensch, wenn er sich ohnmächtig fühlt? Schreibt Briefe an ferne Freunde oder betrunken Liebesgedichte an verlorene Lieben, schreibt nächtelang Pamphlete gegen die allgegenwärtige Barbarei. Vielleicht weil die Ohnmacht der schlimmste aller schmerzhaften Zustände ist. Weil sich das Bewusstsein nicht damit abfinden kann, das es keine Handlungsoptionen gibt.

Einige Zeit, nachdem ich “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz” veröffentlicht hatte, merkte ich, das etwas fehlte. Das da ein alter Schmerz, eine vertraute Melancholie in mir war, dass es noch etwas zu erzählen, zu erinnern gab.

Es war ein Bild, eine Erinnerung, die mich nicht losließ. Ein junger Mann auf den Gleisen eines Bahnhofes irgendwo in der ehemaligen DDR. Der Lockenkopf merkwürdig verrenkt auf den kahlen, nackten Schienen. Liquidiert von den Sondereinheiten des Bundesgrenzschutzes. Eine unendlich scheinende Fahrt ins hessische Wiesbaden, schweigend, wütend. traurig. Eine samstägliche Demonstration in einer völlig ausgestorbenen Innenstadt.

Es ist verrückt, dass man sich in manchen Stunden den Toten umso vieles näher fühlt als all den Lebenden um sich herum. Vielleicht weil sie etwas von einem selber mit sich genommen haben, weil es da ganz tief drin in einem eine Sehnsucht gibt, nicht nur Zuschauer oder Randfigur der Geschichte zu sein, sondern wieder mit ganzen Herzen selber, in aller Bescheidenheit und Demut, ein bisschen Geschichte schreiben zu können.

Wenn man mit den Menschen redet, also mit den Menschen, mit denen man sich nicht ständig aus Gewohnheit umgibt, sondern z.B. mit jenen, die man in einer beliebigen Kneipe bei einem Bier kennen lernt, wird man feststellen, dass es immer noch, nach all den Jahrzehnten, eine unglaubliche Faszination und liebevolle Bewunderung für jene gibt, die hier vor nun mittlerweile über 50 Jahren die revolutionäre Frage, die im Kern immer die Frage nach der Macht, also auch, wenn man ehrlich ist, die Frage nach der bewaffneten Macht, oder besser Gegenmacht, auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Man wird auf soviel Neugier treffen und auf die stille Hoffnung, dass sich eines Tages wieder Menschen finden werden, die bereit sein werden, alles, auch ihr eigenes Leben, in die Waagschale zu werfen. Und wenn wir alle ganz ehrlich mit uns selber sind, werden wir etwas davon auch in uns selber wiederfinden.

Wie auch immer, vor einem knappen Jahr ist nun “Die schönste Jugend ist gefangen” erschienen. Der Versuch einer Annäherung, einer Hommage an die “Bewaffneten Freunde”, wie sie Raul Zelik in einem anderen Zusammenhang genannt hat. Vielleicht ist daraus mehr geworden, vielleicht auch weniger. Das mögen andere entscheiden. Nachdem mich einige Leute darum gebeten haben, dem besseren Verständnis wegen eine Sammlung von Quellen zu erstellen, bin ich dieser Bitte nachgekommen. Aus verschiedensten Gründen hat sich das ganze etwas in die Länge gezogen, aber nun ist die Website zum Buch online gegangen.

Über 100 Texte, Erklärungen, Zeitungsartikeln, Büchern und Filme zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes, der antiimperialistischen Front, aber auch zum Aufstand in Syrien und dem Elend in den palästinensischen Flüchtlingslagern. Den Kapiteln des Buches entsprechend und der Natur nach unvollständig, obwohl ich erstaunt war, wie viel doch den Weg in die digitale Welt gefunden hat. Ich möchte betonen, dass mir jegliches kommerzielles Interesse fern ist, wenn ich in der investierten Zeit Toiletten geputzt hätte, was ich eine sehr ehrenhafte und ehrliche Art finde, sein Geld zu verdienen, wäre ich heute wohl fast das, was man einen gemachten Mann nennt.

Die website zum Buch “Die schönste Jugend ist gefangen” findet Ihr unter bahoebooks.net/jugend

Sebastian Lotzer

Erstveröffentlichung am 25. März 2020 auf Autonomie Magazin 

 

Danach

Part 1 Lotzer / Part 2 Anonym

Part 1 (Lotzer) 

Wir werden das schaffen. Wir bleiben Zuhause. Wir alle müssen Verantwortung übernehmen. Das Wir hat dieser Tage, in den Zeiten eines grassierenden Pandemie Totalitarismus Konjunktion. Ein Großteil der Linken sublimiert sich unter diesem Wir. 

„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“. Man erinnert sich, die Zustimmung der SPD 1914 zu den Kriegskrediten bei nur 2 (!) Enthaltungen in erster Lesung im Reichstag. Die Zeit des “Burgfrieden” in Deutschland im ersten imperialistischen Weltkrieg. Alle Gewerkschaften, auch die sozialdemokratischen, setzten jegliche Form der Unterstützung der Kämpfe der werktätigen Klasse aus. In Frankreich nannte sich der Burgfrieden “Union sacrée”. Jetzt also soll wieder Burgfrieden herrschen. Jetzt geht es nicht mehr um die Rettung der Natur, gibt es keinen friday for future mehr, sondern nur noch ein diffuses Wir. Das es zu retten gilt. Koste es, was es wolle. Und sei es ein Leben auf dem Todesstern. 

Wir befinden uns im Krieg. Tönt es von Frankreich bis in die USA. Im Krieg gibt es unschuldige Opfer, Kollateralschäden werden sie neudeutsch genannt. Die Depressiven, die jetzt isoliert, auf dem Balkon stehen und nicht wissen, ob sie noch eine rauchen oder springen sollen. Die Obdachlosen, die man zu hunderten in Unterkünften zusammenpfercht, bei Verdachtsfällen gegen ihren Willen. Auf unbestimmte Zeit.  „Danach“ weiterlesen

Bologna in Zeiten des Corona Virus – Das Wu Ming-Tagebuch

Part 1 Lotzer / Part 2 Wu Ming 

Part 1 (Lotzer)

Schon länger spüre ich in mir das Bedürfnis nach einem gesunden Abstand (was für ein Euphemismus dieser Tage) zu dem Großteil dessen, was sich in diesem Lande die radikale Linke nennt. Und überfiel mich nach Chemnitz, nach Halle, nach Hanau tiefe Scham, wenn ich jene Pflichtübungen besuchte, die sich frei von Hass und ehrlicher Trauer durch die “Szenebezirke” hindurchschlängelten, nichts hinterlassend als eine kurze Meldung in den Regionalnachrichten, so stellte ich am Abend des 19. Februar das erste Mal fest, dass die ganze Angelegenheit mich zu ekeln begann. 

Zehn Menschen waren nur wenige Stunden zuvor von einem Faschisten niedergemetzelt worden und ich war nach der Arbeit nach Neukölln geeilt. So stand ich da am Rande und ließ die Demonstration an mir vorbeiziehen, auf der Suche nach vertrauten Gesichtern. Ich sah in diese Gesichter, unter den es auch ehrliche gab, dies gilt es zu benennen, der Gerechtigkeit wegen, und um nicht endgültig dem Wahnsinn zu verfallen, aber ich sah auch so viele mit einem Lächeln im Gesicht Freunde und politische Gefährten grüssen, umarmen, in einen spontanen smalltalk verfallend, dass mir geradezu körperlich übel wurde. Kurz darauf traf ich einen alten Genossen, der eigentlich um einiges jünger ist als ich, aber in meinem Alter hat man schnell alte Genossen. Wir schauten uns nur kurz an und wechselten wenige Worte. Wozu auch. Es war alles so offensichtlich.  „Bologna in Zeiten des Corona Virus – Das Wu Ming-Tagebuch“ weiterlesen