Die Waffe der Kritik kann nicht die Kritik der Waffen ersetzen

“das in dem milieu, in dem wir kämpfen – postfaschistischer staat, kosumentenkultur. metropolenchauvinismus, massenmanipulation durch die medien, psychologische kriegsführung, sozialdemokratie – dass gegen die repression, mit der wir es hier zu tun haben, empörung keine waffe ist. sie ist stumpf und hohl. wer wirklich empört, also betroffen und mobilisiert ist, schreit nicht, sondern überlegt sich, was man machen kann”

kassiber von ulrike meinhof, märz 1976

Warum schreibt der Mensch, wenn er sich ohnmächtig fühlt? Schreibt Briefe an ferne Freunde oder betrunken Liebesgedichte an verlorene Lieben, schreibt nächtelang Pamphlete gegen die allgegenwärtige Barbarei. Vielleicht weil die Ohnmacht der schlimmste aller schmerzhaften Zustände ist. Weil sich das Bewusstsein nicht damit abfinden kann, das es keine Handlungsoptionen gibt.

Einige Zeit, nachdem ich “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz” veröffentlicht hatte, merkte ich, das etwas fehlte. Das da ein alter Schmerz, eine vertraute Melancholie in mir war, dass es noch etwas zu erzählen, zu erinnern gab.

Es war ein Bild, eine Erinnerung, die mich nicht losließ. Ein junger Mann auf den Gleisen eines Bahnhofes irgendwo in der ehemaligen DDR. Der Lockenkopf merkwürdig verrenkt auf den kahlen, nackten Schienen. Liquidiert von den Sondereinheiten des Bundesgrenzschutzes. Eine unendlich scheinende Fahrt ins hessische Wiesbaden, schweigend, wütend. traurig. Eine samstägliche Demonstration in einer völlig ausgestorbenen Innenstadt.

Es ist verrückt, dass man sich in manchen Stunden den Toten umso vieles näher fühlt als all den Lebenden um sich herum. Vielleicht weil sie etwas von einem selber mit sich genommen haben, weil es da ganz tief drin in einem eine Sehnsucht gibt, nicht nur Zuschauer oder Randfigur der Geschichte zu sein, sondern wieder mit ganzen Herzen selber, in aller Bescheidenheit und Demut, ein bisschen Geschichte schreiben zu können.

Wenn man mit den Menschen redet, also mit den Menschen, mit denen man sich nicht ständig aus Gewohnheit umgibt, sondern z.B. mit jenen, die man in einer beliebigen Kneipe bei einem Bier kennen lernt, wird man feststellen, dass es immer noch, nach all den Jahrzehnten, eine unglaubliche Faszination und liebevolle Bewunderung für jene gibt, die hier vor nun mittlerweile über 50 Jahren die revolutionäre Frage, die im Kern immer die Frage nach der Macht, also auch, wenn man ehrlich ist, die Frage nach der bewaffneten Macht, oder besser Gegenmacht, auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Man wird auf soviel Neugier treffen und auf die stille Hoffnung, dass sich eines Tages wieder Menschen finden werden, die bereit sein werden, alles, auch ihr eigenes Leben, in die Waagschale zu werfen. Und wenn wir alle ganz ehrlich mit uns selber sind, werden wir etwas davon auch in uns selber wiederfinden.

Wie auch immer, vor einem knappen Jahr ist nun “Die schönste Jugend ist gefangen” erschienen. Der Versuch einer Annäherung, einer Hommage an die “Bewaffneten Freunde”, wie sie Raul Zelik in einem anderen Zusammenhang genannt hat. Vielleicht ist daraus mehr geworden, vielleicht auch weniger. Das mögen andere entscheiden. Nachdem mich einige Leute darum gebeten haben, dem besseren Verständnis wegen eine Sammlung von Quellen zu erstellen, bin ich dieser Bitte nachgekommen. Aus verschiedensten Gründen hat sich das ganze etwas in die Länge gezogen, aber nun ist die Website zum Buch online gegangen.

Über 100 Texte, Erklärungen, Zeitungsartikeln, Büchern und Filme zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes, der antiimperialistischen Front, aber auch zum Aufstand in Syrien und dem Elend in den palästinensischen Flüchtlingslagern. Den Kapiteln des Buches entsprechend und der Natur nach unvollständig, obwohl ich erstaunt war, wie viel doch den Weg in die digitale Welt gefunden hat. Ich möchte betonen, dass mir jegliches kommerzielles Interesse fern ist, wenn ich in der investierten Zeit Toiletten geputzt hätte, was ich eine sehr ehrenhafte und ehrliche Art finde, sein Geld zu verdienen, wäre ich heute wohl fast das, was man einen gemachten Mann nennt.

Die website zum Buch “Die schönste Jugend ist gefangen” findet Ihr unter bahoebooks.net/jugend

Sebastian Lotzer

Erstveröffentlichung am 25. März 2020 auf Autonomie Magazin 

 

Another Lovesong

Christian Geissler hat es sich und seinen Lesern nie leicht gemacht. Davon kündet nicht zuletzt der Versuch, in seinem Roman kamalatta einen Bogen zu spannen von den Kämpfen der arbeitenden Klasse, von der Widerstandslinie gegen den Nationalsozialismus hin zum bewaffneten Aufbruch im postfaschistischen Deutschland.
Seine Haltung war dabei ebenso kompromisslos fordernd an sich selbst und an uns wie sein Ringen um eine Sprache, die der scheinbaren Anmaßung unseren Feinden bewaffnet gegenüber zu treten, gerecht wird.
kamalatta liest sich nicht leicht weg, darf sich nicht leicht weg lesen, weil es mehr war als eine biografische Fußnote aus sicherer Distanz. Der Stoff war eine Intervention, der Versuch eines alten Kommunisten eine Brücke zwischen den Widerstandsgenerationen zu schlagen.
Veröffentlicht Ende der 80er arbeitet sich das Buch entlang des von der RAF 1982 vorgelegten Grundsatzpapiers „Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front“ an der Frage ab, wie all Jene, die es wirklich ernst mein(t)en mit ihren Versuchen dieses System aus den Angeln zu heben, zusammen kommen und ihre Kämpfe gemeinsam bestimmen können.
Aus heutiger Sicht mögen viele der damals vertretenden Sichtweisen und ideologischen Versatzstücke befremden oder sogar abstoßen. Seien dies die Anleihen im Fundus der Leninismus oder Maoismus, seien es die Fixierung auf die „US-Staatenkette“, die Ungenauigkeiten in der Differenzierung zwischen Antiimperialismus und Antiamerikanismus. Wie so vieles kann und muss genau Jenes aber im konkreten historischen Kontext und politischen Diskurs verstanden und beurteilt werden, um den Protagonist*innen jener antagonistischen Organisierungsansätze gerecht werden zu können.
Doch im Grunde genommen handelt kamalatta gar nicht davon. Christian Geissler nähert sich der Fragestellung des bewaffneten Antagonismus aus der Haltung heraus an, wie aus dem Bemühen, all Jenen beizustehen, die bedrängt und in Not sind, mehr als eine appellative Handlung folgen kann. Und trägt in sich, als Nebenstrang und Subtext aus dem Wissen der Lektüre der beiden zuvor erschienenen Werke ‚Das Brot mit der Feile‘ und ‚Wird Zeit das wir leben‘, die Erinnerung daran, dass jegliche ernst zunehmende Opposition zu den bestehenden Verhältnissen letztendlich sich gemein machen muss mit Jenen, die allzeit ausgebeutet und geknechtet, nach Wegen der Rebellion suchen.Die Gründer*innen der RAF wussten im Übrigen am Anfang genau darum. Einige, die zum ersten Kern der Stadtguerilla zählten, hatten zuvor im Märkischen Viertel, einem Neubauquartier in Berlin, gemeinsame Sache mit den dortigen Mieter*innen gemacht, die erste Hausbesetzung in Berlin fand dann auch folgerichtig genau dort statt , andere hatten sich der Arbeit mit Jugendlichen auf Trebe verschrieben.
Was Christian Geissler in Bezug auf kamalatta als einziges vorzuhalten wäre, ist das diese Intervention zu spät kam. Zwar hatte er seit den 70er wiederholt Gefangene aus dem bewaffneten Kampf besucht und mit ihnen die politische Diskussion gesucht und sich gegen die Haftbedingungen der Genoss*innen engagiert. Doch jenes kurze Zeitfenster, in dem es sowohl von Seiten der neuen sozialen Bewegungen wie z.B. der Hausbesetzerbewegung in Westberlin als auch von Seiten der RAF und den antiimperialistischen Gruppen einen offenen Prozess der Diskussion um die Möglichkeiten eines realen Zusammenkommens gegeben hatte, war Ende der 80iger schon lange Geschichte.

Doch genauso wie die RAF sich immer weiter von ihrem ursprünglichen Anspruch, bewaffnete Fraktion im Klassenkampf zu sein, entfernte, so sehr fiel auch die „soziale Frage“ in den Wurmfortsetzungen „der Bewegung“ hinten runter, verlor sie ihre Anziehungskraft für jugendliche, proletarische Rebell*innen, verkam sie zur identitären, selbstreferenziellen Szeneblase.

Wenn also dieser Tage der ‚Verbrecherverlag‘ eine Neuauflage von Christian Geisslers kamalatta veröffentlicht, mag dies eine Gelegenheit sein, die Fäden der ursprünglichen Diskussion wieder aufzunehmen. Gerade die aktuellen Entwicklungen, das Erstarken einer völkischen Rechten, die Bündnispartner bis hinein in den Staatsapparat aufzuweisen hat, die weitgehende Ohnmacht linksradikaler und antifaschistischer Akteure, setzt die Fragestellung nach der Organisierung von ‚Gegenmacht‘ notwendigerweise auf die Tagesordnung. Das diese nur in Zusammenhang mit „der sozialen Frage“ gedacht werden kann, will sie sich nicht in einer nicht ernstzunehmenden Postulierung erschöpfen, ergibt sich aus sich selbst heraus.

Sebastian Lotzer

Erstveröffentlichung am 5. November 2018 auf untergrund blättle