Galaxien des Antagonismus [mit PDF Bonus]

Der folgende Text ist eine – überarbeitete – Zusammenfassung der Trilogie, die in der Zeit vom 8. März bis zum 20. April 2025 in sechs Folgen veröffentlicht wurde und in Teilen eine Reaktion auf den ausführlichen Text von Burkhard Garweg, der im Neuen Deutschland erschien, als auch in Teilen eine fragmentarische Skizze der gegenwärtigen Situation sein soll. Wo stehen, oder vielleicht auch schwanken wir, unter welchen Bedingungen findet und organisiert sich der neue Antagonismus? Der besseren Übersichtlichkeit halber wurden alle Fußnoten entfernt, dafür findet sich am Ende des Textes eine ausführliche Liste von weiterführender Literatur.  

Part 1: Wurmlöcher des Antagonismus (Polykrise und Hybris)

Gewiss, die Fragmentierung der Welt führt zu Desorientierung und wirft alle überkommenen Gewissheiten über den Haufen, stellt all unsere politischen und existentiellen Kategorien infrage und entzieht der revolutionären Tradition selbst den Boden: Sie ist eine Herausforderung.

Jetzt – Das Unsichtbare Komitee

THIS IS NOT A LOVESONG

Trump geht all in, die europäischen Militärhaushalte werden explodieren, der neue Liberalismus, eben noch von Döpfners Schreibstube enthusiastisch abgefeiert, ruft nun besorgte Stimmen auf den Plan, die verzweifelt fragen, wo Europa mit seinen Abermilliarden Euros neue Waffensysteme kaufen soll, da den europäischen Generalstäben bewusst wird, dass praktisch alle modernen Waffensysteme ständige Updates benötigen, die im Zweifelsfall die US amerikanischen Hersteller verweigern könnten, wenn die Divergenzen eine bestimmte Fallhöhe erreichen sollten. Die Franzosen setzen seit Jahrzehnten auf eigenständige Waffenentwicklung – und Produktion, was eben noch als postimperialer Größenwahn einer ehemaligen Weltmacht erschien, die spätestens 39 in die reale Bedeutunglosigkeit gefallen war, ist nun der neue Sound der westeuropäischen Aufrüstung. Die Tendenz zum Krieg hat schon vor Jahren die Agenda des grünen Kapitalismus abgelöst, nur eine blasierte kleinbürgerliche deutsche Blase, von der grünen Partei bis in die sogenannten postautonomen Vorfeldorganisationen hat dies immer noch nicht realisiert. Und nein, die Zeitenwende ist nicht der Ausbruch des Ukraine Krieges, sondern die Perspektivlosigkeit des Kapitalismus in seiner Verwertungskrise, die immer neue Blasen produziert, die alle, latent instabil, jederzeit die gesamte soziale Zusammensetzung in den Metropolen innerhalb von Wochen, vielleicht sogar Tagen, zusammenbrechen lassen können, 2008 war im Vergleich dazu nicht mal eine Vorahnung eines Vorbebens, der Absturz an den Tech Märkten am Tage des Triumphes von DeepSeek kommt einer Simulation der kommenden apokalyptischen Reiter der Märkte wohl eher näher, nicht in den Dimensionen, aber in der Geschwindigkeit und dem unvermittelten Aufprall. Im Grunde spielt es keine Rolle ob Trump die Strafzölle für kanadische oder mexikanische Importe beibehält, reduziert, oder wieder ganz zurücknimmt – ob und wie lange er seinen Hofnarren Musk noch an seiner Tafel Platz nehmen lässt, der es sich in Verkennung der wirklichen Machtverhältnisse schon innerhalb von wenigen Wochen mit der Hälfte der Regierungsmitglieder verscherzt hat (in den Führungsetagen von BlackRock & Co lacht man sich eh scheckig über die neuen libertären Pausenclowns Musk, Milei und Co mit ihren Marsbesiedlungsplänen und Kettensägenmassakern, billiger Unterhaltungstrash der von den wirklichen strategischen Entscheidungen der wirklichen Big Player ablenkt, die die eigentliche Politik, auch von Trump, diktieren und diktieren werden) – die wirklich interessanten Fragen sind die Positionierungen im Kräftemessen zwischen China und den USA, in diesem Kontext kommt auch Russland ins Spiel, und das ist auch eine der möglichen Optionen der USA: Russland wieder in den Kreis der Großmächte aufzunehmen und so den Riss zwischen China und Russland zu verbreitern, eine strategische Triangel ist immer ein schwierig zu bespielendes Feld, politisch, wirtschaftlich und militärisch. 

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Be Water My Friend

Die Dunkelheit fällt über die Stadt, im Minutentakt Sirenen am Kotti, ein Bullenhubschrauber steht über den Dächern, der übliche Partymob ist heute woanders unterwegs. Der Himmel beginnt sich in allen Farben des Feuerwerks zu färben und es sind noch fast sechs Stunden bis Mitternacht. Wer nichts hat oder alles verloren hat, vertreibt die Geister der Armut für ein paar Stunden. Mit jedem Schuss in die Sterne, die kein Versprechen halten. 

Am Zickenplatz ist der Kinderspielplatz von den Bullen mit Flutlicht geflutet, jeder Strauch ein potentieller Verbrecher. Am Kottbusser Damm zirkulieren jetzt die Wannen im Minutentakt, in der dunklen Seitenstraße die mattgrauen Transporterkolonnen der Bundespolizei, Warlords auf fremdem Territorium.  

An der Mündung zur Sonnenallee die Festung der Besatzungstruppen. Absperrgitter, Flutlicht, Wannen und Bullen so weit das Auge reicht. Der Bürgermeister und die Innensenatorin machen ihre Aufwartung, die Koalition der Willigen. Das jugendliche Surplusproletariat kümmert sich einen Scheiß um die Checkpoints, über Seitenstraßen und Hinterhöfe füllt sich der nicht mit  Flutlicht geflutete Abschnitt der Sonnenallee und um Mitternacht erleuchtet ein fulminantes Feuerwerk die ganze Strecke bis weit hinaus zur High Deck Siedlung, wo mehrere Hundertschaften auf der Lauer liegen.   „Be Water My Friend“ weiterlesen

Berlin grüsst Athena

“Kriegt raus, wo die Heime sind und die kinderreichen Familien und das Subproletariat und die proletarischen Frauen, die nur darauf warten, den Richtigen in die Fresse zu schlagen. Die werden die Führung übernehmen. Und lasst euch nicht schnappen und lernt von denen, wie man sich nicht schnappen lässt – die verstehen mehr davon als ihr.

Die Klassenkämpfe entfalten. Das Proletariat organisieren.

Gudrun Ensslin – Die Rote Armee aufbauen, Juni 1970 

Das Geschrei ist groß, der kleinbürgerliche Mob tobt in den Netzwerken und Medien, Faschisten und Grüne in der Sache endlich vereint. Der Gesundheitsminister hat den permanenten Ausnahmezustand der Pandemie völlig verinnerlicht, wer Einsätze von Bullen und Feuerwehr behindert, soll gefälligst aus seiner Wohnung geworfen werden. 

Jeder, der wissen wollte, wusste was passieren wird. Wer auf den Straßen dieser Stadt unterwegs ist, sich außerhalb seiner Wohlfühlblase bewegt, sich mit den proletarischen Jugendlichen unterhält, wusste, dass die Nacht der Abrechnung gekommen war. Fast drei Jahre Pandemie Ausnahmezustand, überall Schikanen, Repression und Bullen, jetzt die nächste solidarische Anstrengung der Gesellschaft, alle haben Opfer für den gerechten Krieg aufzubringen. Da wo die Kohle am Monatsende eh nicht reicht, reicht sie nicht mal mehr für den halben Monat. Der alltägliche Rassismus der Bullen, die Armut, der du nur entkommst, wenn du dir auf kreative Art und Weise dein Geld jenseits der bürgerlichen Spielregeln verdienst. Du bist der Abschaum der Gesellschaft, bildungsfern hört sich eleganter an als asoziales Milieu, meint aber dasselbe.  „Berlin grüsst Athena“ weiterlesen

Berlin meine Schöne

Mein Gespräch, meine Lieder

mein Hass und mein Glück

mein Tag, meine Nacht, mein Vor, mein Zurück

meine Sonne und Schatten, Zweifel, die ich hab

an dir und in mir bis zum letzten Tag

deine Straßen, wo ich fliehe, stolper und fall

deine Wärme, die ich brauch, die ich spüre überall

Klaus Hoffmann – Berlin 

Zickenplatz im Dunkeln, ferne Erinnerungen, alte Geschichten, tolldreiste Nächte, wilde Fluchten, heute hängen die Straßen und Bürgersteige voller Menschen, alles ganz ruhig, aber das ist nur die Konzentration, der Moment sich zu sammeln vor dem Sprung. Dann knallt Body Count aus dem Lautsprecher, und alles setzt sich in Bewegung, schnell, aber nicht hektisch. Eine schwarze Menge, die sich durch die Straßen schiebt. Die ersten Fenster zersplittern, dieses dumpfe Dong, wenn der Stein aufprallt, dass du tausend mal gehört hast und das du nie wieder vergessen wirst wie das Rauschen des Meeres oder den Atmen des Geliebten im Bett neben dir. 

Irgendwo laufen die Bullen seitlich mit, Pyros, Knaller und Steine fliegen ihnen um die Ohren. Eine Scheibe nach der anderen fällt in sich zusammen, du findest die alten Gefährten, wie selbstverständlich, kurze Umarmungen, du schlüpfst in dein alte Haut, das verwaschene Halstuch, an dem du so hängst, bedeckt jetzt dein Gesicht. Scherze unter alten Männern, die Wehwehchen, die vergessen sind, die morschen Knochen, die noch einmal tanzen.  „Berlin meine Schöne“ weiterlesen

Kein Ort. Nirgends. – Zum 40. Todestag von Klaus Jürgen Rattay

Es ist der 21.9.1981. Für den morgigen Tag hat der Berliner Senat die Räumung mehrerer besetzter Häuser angekündigt, es ist der erste große Angriff auf die Westberliner Hausbesetzer Bewegung, die zu diesem über 160 Häuser besetzt hält und Tausende zu ihren Demonstrationen und Aktionen mobilisieren kann. In dem Viertel am Schöneberger Winterfeldtplatz, in dem neben Kreuzberg das zweite Herz der Bewegung schlägt, sollen gleich mehrere Häuser geräumt werden, hunderte Unterstützer*innen und Schaulustige haben sich hier versammelt. Ein junger Mann, eher noch ein Junge, trotzig in Vollbart und Lederjacke, steht im Hinterhof der besetzten Häuser in der Winterfeldtstraße, der eigentlich eher eine große Freifläche denn ein Hinterhof ist, denn viele der Häuser, die den Krieg überstanden haben, sind schon im Laufe der letzten Jahre abgerissen worden. Die Berliner Abendschau hat ein Filmteam in die Winterfeldtstraße entsandt, man will Impressionen vor dem großen Showdown sammeln. Ruhig und sachlich spricht der Junge in die Kamera: Er sei aus der Provinz nach Berlin gekommen, habe keinen Bock mehr auf eine Arbeit, bei dem ihm der Meister zusammenscheiße und überhaupt sei die Sache mit der Maloche Mist. Er wolle sich an den Hausbesetzungen beteiligen, fände den Zusammenhalt und die Solidarität und auch die Sache mit dem Kiffen, und da umspielt ein wunderbares Lächeln seine Lippen, eine prima Sache. Auf Nachfrage räumt er ein, dass er auch Angst vor dem morgigen Tag habe, ist sich nicht zu stolz, zu sich, zu seinen Gefühlen zu stehen. Markiert nicht den straighten Fighter, der er gar nicht ist. Aber er habe auch Mut zu kämpfen, betont er noch. Nicht einmal vierundzwanzig Stunden später ist der Junge tot. Sein Name war Klaus Jürgen Rattay. „Kein Ort. Nirgends. – Zum 40. Todestag von Klaus Jürgen Rattay“ weiterlesen

„Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm“

Wenigstens keine neue “Offensive”, kein “Unregierbar”, keine vollmundig verbalradikalen Ankündigungen, stattdessen nun also bunt und divers, der 1. Mai in Berlin soll “familienfreundlich” werden, das Schweinesystem hat versagt, weil es keinen “echten Lockdown” gestemmt bekommen hat, bald kommt die revolutionäre Ausgangssperre. Gruppierungen, die sich nicht zu schade waren, mit Grünen, Linke und SPD Menschenketten zu bilden, verkünden nun mit stolzgeschwellter Brust die Übernahme des Frontblocks. Der 1. Mai in seiner Essenz: Einmal im Jahr die eigene gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit vergessen machen, eine Demo mit 10.000 Menschen anführen. Selber unfähig Geschichte zu schreiben, bietet das Event 1. Mai seit vielen Jahren Gelegenheit sich im historischen Kontext herausputzen zu können. Eitle Selbstgefälligkeit, der die dumpfe Masse, die hinterher latscht, völlig egal ist, so wie der dumpfen Masse selber, die mit dem Wegebier in der Hand irgendwelchen roten oder was auch immer für Fahnen hinterher latscht, eigentlich auch die genauen Bestimmungen des Ganzen ziemlich egal sind. Mensch könnte am 1. Mai auch für niedrige Bierpreise oder kostenlose Bartrasuren demonstrieren, es kämen trotzdem jene 10.000 die Teil des fifteen-minutes-fame framing sein wollen.

Das zweite Jahr in Folge Corona bedingt kein Ballermann Fest zwischen Oranienplatz und Schlesisches Tor. Das war es schon mit den guten Nachrichten. Waren es im letzten Jahr nur 2000, 3000 Leute, die trotz Pandemie nach Kreuzberg zum 1. Mai kamen, wussten die offensichtlich wenigstens zum großen Teil, warum sie da waren. Keine pseudoradikale Runde mit Hassi unangemeldet durchs Myfest, wobei eh immer die Hälfte inmitten des Ballermannpublikums verloren ging. Kein überdimensionierter Truck, der in ohrenbetäubender Lautstärke die immer gleichen Phrasen und Parolen unters Volk brachte. Kein pseudomilitanter Frontblock, der Jahr für Jahr Prügel bezog, wenn die Bullen die Zeit für gekommen hielten. Stattdessen zog mensch 2020 kreuz und quer durch Kreuzberg, die Bullen kamen das erste Mal seit Jahren ins Schwitzen und es brauchte keine grossen militanten Auseinandersetzungen, um das Gefühl zu bekommen, heute sei es am 1. Mai mal wirklich um etwas gegangen und an diesem Abend fand dann auch das Lächeln zurück auf den Heinrichplatz. Aber was zählt schon ein Lächeln im Geschacher der Bündnisse und Politgruppen um die Zielgruppe. „„Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm““ weiterlesen

Endgames (4)

Während Merkel bei der Anne Will Audienz von “notwendigen” Ausgangssperren spricht, um sich dann sofort zu verbessern, “Ausgangsbeschränkungen”, der soziale Krieg kommt maskiert daher, titelt die taz, die ja mal als Reaktion auf die Totalität des Staates im “deutschen Herbst”, also als Reaktion auf die Konfrontation zwischen Stadtguerilla und der BRD ‘77, den Toten von Stammheim, gegründet wurde, in ihrem Hamburger Lokalteil gewollt bagatellisierend: “Pyjamapartys verboten”. Und während in Hamburg noch ZeroCovid gegen sich selbst demonstriert, ist der ehemalige Bundesinnenminister de Maizière schon weiter, er verlangt eine Änderung des Grundgesetzes, um in “zukünftigen Krisen” “ schnell “reagieren zu können”. In “solchen Krisen” soll dann ein “Krisenstab” mit “neuen Durchgriffsrechten” und “Weisungsrechten gegenüber den (Bundes)Ländern” eingesetzt werden. Auch die Armee soll als erweiterte Polizei unter deren Kommando z.B. “Gebäude und Gebiete sichern”.  „Endgames (4)“ weiterlesen

Nightshift 1

It will be a long night.

It is good, on the night shift, oooh

You found another home

I know that you’re not alone on the night shift

Vier Abende und Nächte. Verschärfte Ausgangssperre. Zehn Jahre, nachdem Muḥammad al-Būʿazīzī sich und das was die weiße Welt die arabische Welt nennt, in Brand gesetzt hat. Pandemie Ausgangssperre. Niemand hat ihnen das abgekauft. Die Angehörigen Jener, die vor 10 Jahren gefallen sind, haben sich wie jedes Jahr in der Innenstadt von Tunis versammelt, um zu gedenken, um dafür zu sorgen dass die Toten nicht vergessen werden, um an alles zu erinnern, um daran zu erinnern, dass sich nichts geändert hat. Man hat ihnen Pfefferspray in die Gesichter gejagt, so als wenn da eh schon nichts als Tränen wären.

Seit der ersten Nacht der verschärften Ausgangssperre brennen auf den Straßen der Arbeiter*innenviertel Tunesiens wieder die Autoreifen, fliegen Steine… “Das ganze System muss verschwinden … Wir werden auf die Straße zurückkehren und unsere Rechte und unsere Würde zurückgewinnen, die eine korrupte Elite nach der Revolution an sich gerissen hat.“… Eine Stimme von vielen, hier denkt fast jede und jeder so. Regierungsgebäude werden mit Steinen und Brandflaschen bedacht. Die Vororte von Tunis, Kasserine, Gafsa, Sousse, Monastir, die gleichen Namen, die gleichen Orte wie vor zehn Jahren. Nichts hat sich geändert. Alles muss sich ändern. Die Regierung hat die Armee und die Nationalgarde mobilisiert, Radpanzer rollen durch die Straßen, werden von den Dächern aus mit Molotows eingedeckt. Über 700 Jugendliche sind mittlerweile festgenommen worden, vor dem Justizpalast von Tunis stehen ihre Familien und fordern ihre Freilassung. Mittlerweile wachsen die täglichen Demos in der Hauptstadt an, auf der geschichtsträchtigen Avenue Habib Bourguiba sammeln sich die Menschen: “Das Volk will den Sturz des Regimes”. Immer noch. Eine Ansprache des Premierministers im TV: “Die Klagen und Anliegen der Jugend sind berechtigt, wir haben sie vernommen, aber wir werden mit Härte gegen jegliche Gewalt vorgehen.” Es ist, als wenn Ben Ali niemals gestürzt worden wäre.

Das Jahr hat erst begonnen und schon erscheint es, als wenn die Welt nur für ein paar Monate (scheinbar) die Luft angehalten hätte. In Guatemala drängt eine neue Karawane der Hoffnung in Richtung USA, in Indien sind seit Wochen Millionen von Bauern auf den Straßen, in Frankreich fliegen wieder jedes Wochenende die Tränengaskanister durch die Luft. Und dies sind nur Bruchstücke jener Sequenzen, die derzeit die Zuspitzung der sozialen Konfliktualität trotz oder gerade wegen des Corona Ausnahmezustand wieder auf die Tagesordnung setzen. „Nightshift 1“ weiterlesen

Endgames (1)

Schließen wir die Pandemie Kriegstagebücher (1) ab. Nicht weil die Pandemie vorbei wäre, oder die diskursive und gesellschaftliche Entwicklung die sich seit dem März 2020 ereignet hat, nicht weitere Worte wert wäre. Sondern weil es langsam notwendig wird, je länger und entgrenzter der Faschisierungsprozeß Staat und Gesellschaft durchzieht, sich von dem abzuwenden, was nur als Ouvertüre begriffen werden kann, für das was uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bevorsteht. Wenn wir also über den Pandemie Faschismus, der in den staatlichen Maßnahmen und der gesellschaftlichen Reaktion eingeschrieben ist, noch weiter sprechen, dann ab sofort nur noch um sich einen Begriff von den Notwendigkeiten und Bedingungen zukünftiger sozialer Konfliktualität zu verschaffen. Und wenn wir das sagen, reden wir zugleich von dem was es in den Fokus zu nehmen gilt, den radikalen Umschlag in der Qualität der Bestimmung des Kampfterrains durch unsere Todfeinde, die eigentlich mit dem Rücken an der Wand stehen, wobei ihre historischen Gegner, jetzt, wo es endlich so weit ist, zu blind sind, das zu sehen, zu begreifen, während sie sonst bei jeder Krise das nahe Ende des Empires prophezeit haben, zuletzt 2008 und am Beginn der Pandemie erneut. Immer wieder wurde davon gesprochen, dass es “danach” alles anders sei, die Zeit “jetzt reif” sei und ähnliches. Es gibt aber keine Reife der Zeit, keine objektiven Bedingungen. “Bifo” sagte kürzlich: “Der Kapitalismus ist noch an der Macht, er ist  aber bereits tot”. Wahrscheinlich ist dem so. Vielleicht hat auch Agamben Recht, wenn er das Modell der VR China als Gewinner dieser historische Phase sieht und prophezeit: “Sicher ist jedoch, dass das neue Regime den unmenschlichsten Aspekt des Kapitalismus mit dem grausamsten Aspekt des Staatskommunismus verbinden wird, indem es die extreme Entfremdung der Beziehungen zwischen den Menschen mit einer noch nie dagewesenen sozialen Kontrolle kombiniert.” „Endgames (1)“ weiterlesen

Dancing in the rain – L 34

Lautstark schiebt sich die Menge durch die enge Gasse in Richtung Hackescher Markt,  vorneweg eine knappe Hundertschaft. Pünktlich hat der Nieselregen eingesetzt, die Nässe kriecht durch die Ritzen und Poren, macht die Beine klamm. Die Bordsteinschwalben haben unter einem Vorsprung Unterschlupf gesucht, zücken ihre Smartphones, Lächeln im Gesicht, mal was anderes als die immer gleichen Touristenvisagen. Aus den Bereitstellungsräumen strömen weitere Hundertschaften, Bundespolizei und andere Auswärtige. Der erste Fehler: Arroganz. Unterschätze nie einen angeschlagenen Gegner. 

Und während die Bullen noch ihr Spalier aufziehen, gehen schon die ersten Scheiben zu Bruch. Irgendwelche Läden mit irgendwelchen Kram, den keiner braucht, oder sich kaum einer leisten kann. Aber heute ist vieles nicht wie sonst, kein Zögern, keine Panik, schnellen Schrittes weiter. Da wo das Spalier aufhört ein weiterer militanter Kern, Pyros fliegen auf die Bullen, die ersten Steine. Die Demo biegt in Richtung Alex ab, immer mehr Feuerwerk und Rauchbomben, irgendwo klirren weitere Scheiben, die Bullen verlieren den Überblick. Neue Bullentrupps eilen herbei, kurzfristig flutet der hintere Teil der Demo zurück, noch mehr Steine und Pyros für die Bullen, die Leute fassen sich ein Herz, die Lücke wird zu gelaufen, die Bullen erleichtert, der Plan, stoppen vorne auf, arbeiten am Spalier. Zweiter Fehler: Mangelnde Flexibilität. 

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