
Aus jeder Krise ein Feuer machen
Das Unsichtbare Komitee (Der kommende Aufstand, 2007)
Schweigen oder Defätismus. Beides bedeutet in unserer Situation eine strategische Niederlage in Anbetracht der historischen Epoche, in der wir uns wiederfinden, eine Niederlage, die sich nicht aus den realen Bedingungen des Klassenantagonismus generiert, sondern aus falschen, begrenzten Grundannahmen und bequemen Haltungen. Die aufständischen Bewegungen der letzten 2 Dekaden, die seit dem Tod von Ziad Benna und Bouna Traoré in neuem nihilistischen Gewand die Grundfesten der Welt der Ordnung und der Verwertung von wirklich allem Lebendigen, bis in die DNA des Saatgutes, erschüttern, sind von uns bisher nur begrenzt in ihrer revolutionären Sprengkraft begriffen worden.
Die Verweigerung jeglicher Repräsentanz außerhalb der Revolte selbst verband schon die Jugendlichen der Banlieues des Jahres 2005 mit den Aufständischen vom Tahrir Platz und den Rebellen von Homs und Hama, die Commune gab sich unterschiedliche Gestalten, die sich jenseits der Interviews manifestierten die eine kleine Intelligenzija in die Kameras und Mikrofone von BBC und Al Jazeera gab, während ein Regime am Abgrund ein Heer von Kriegern auf Kamelen in die Schlacht schickte. Die Tragik der westlichen revolutionären Theorie liegt in der Erwartung des “reinen Aufstandes” und ihrem orthodoxen Determinismus, erstmals gebrochen wurde dieses dominierende Narrativ erst während der Gelbwesten Revolte, also fast 10 Jahre nach dem Ansturm der Massen gegen praktisch alle Formen von Regimes im Nahen Osten, dem Maghreb und Teilen von Afrika. Fast zehn verschenkte Jahre! Wobei auch diese Revolte anfänglich einem denunziatorischen Dauerfeuer zahlreicher Linker als “rechts”, “kleinbürgerlich”, “antisemitisch”, etc. ausgesetzt war, eine Tatsache, die heute gerne verschwiegen wird, wo sich alle “Sackgassenbewegungen” in Frankreich (Rentenreform, etc) mit dem Gestus der GJ schmücken. Im Kern ist ein Großteil der westlichen revolutionären Theorie aber immer noch im Denken des “puren Aufstandes” gefangen, die überfällige grundsätzliche Überarbeitung der westlichen revolutionären Theorie verliert sich immer wieder im kurzlebigen, taktischen Anpassungsprozeß. Aber:
“Es gibt keinen puren Klassenkampf, weil er immer überdeterminiert ist. Das Proletariat existiert nicht unabhängig von seinen Schichtungen, und es erscheint uns nie als Konzept, sondern als Widerspruch im Prozess.”
und
“Angesichts eines Staates, der keine Zugeständnisse mehr machen kann, wird es nämlich immer schwieriger zu kämpfen, ohne dass die Forderungen innerhalb des Kampfes selbst angefochten werden. Es besteht ein strukturelles Spannungsverhältnis zwischen dem Widerspruch zum Kapital und dem Widerspruch zu sich selbst als Klasse. Die Randalierer konnten nicht als Proletarier aus den Banlieues kämpfen, die wie das „normale” Proletariat – im Sinne der organisierten Arbeiterklasse – behandelt werden wollten, denn dieses existiert nicht mehr, oder besser gesagt, weil diese Proletarier vorwegnehmen, was aus dem „normalen Proletariat” werden wird. Sie kämpften nicht als besondere Fraktion des Proletariats, die wie das Proletariat im Allgemeinen behandelt werden wollte, denn diese besondere Fraktion des Proletariats verkörpert heute die künftige Allgemeinheit der Lage des Proletariats, d. h. die Allgemeinheit des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, wie es seit der Umstrukturierung der 1970er- und 1980er-Jahre besteht.”
artifices (In den Flammen des Sommers) [1]
Man könnte es als eine Laune der Geschichte verstehen, dass auf das Schweigen, das sich in der Theorieblase der westlichen Revolutionäre ausbreite – ein Schweigen, das kein Raum der überfälligen Reflexion wurde, sondern dass nur Defätismus und den Rückfall in identitäre Politikmuster (“Die Palästina-Solidaritätsbewegung wurde zum Fluchtpunkt aller Überlegungenen und Anstrengungen, sie musste die schmerzhafte Lücke füllen”) [2] gebar – die landesweiten Unruhen nach dem Mord an Nahel und ein Jahr später die Revolten der GenZ folgten. Nicht die Lehrmeister schreiben Geschichte, sondern die Geschichte erschafft ihre Lehrmeister.
Die jungen Rebellen der Gegenwart verweigern sich jeder Verhaftung in einem defätistischen Geschichtsverständnis (der allgegenwärtige Katastrophismus der Linken: die Ökologie, die Pandemie, die faschistische Machtergreifung, die Erzählung der Ohnmacht) ebenso wie den Fallstricken identitärer Politik, der Subjektivismus ist hier nur der Geburtshelfer des Moments der Revolte. Die einzige wirkliche Frage, die einzige relevante Überlegung ist, wie aus diesen Revolten, die auf der Höhe der Zeit den Klassenantagonismus artikulieren, eine reale Bewegung wird, die den revolutionären Horizont wieder aufreißt: Die nihilistische Commune, die ihre regionale Begrenzung sprengt.
wird fortgesetzt…
[1] In den Flammen des Sommers: Die Nahel-Unruhen und die kommunistische Hypothese, deutsch auf Bonustracks
https://bonustracks2.noblogs.org/post/2025/11/22/in-den-flammen-des-sommers-die-nahel-unruhen-und-die-kommunistische-hypothese/
[2] Generation Z [Opus 1] – Sebastian Lotzer
https://lotzerswelt.noblogs.org/post/2025/10/20/generation-z-opus-1/
