Im Juli dieses Jahres legte die US Regierung einen sogenannten “AI Action Plan” vor, der u.a. die Regulierungen von KI Anwendungen im militärischen Einsatz durch Menschen zum Teil aufheben soll. Die in den verschiedenen Teilstreitkräften eingesetzte KI soll zusammengeführt werden und zukünftige Kriegsführungsszenarien sehen hochkomplexe Einsätze von Unmengen an Drohnen, Raketen und anderen Waffen- und Steuerungssysteme vor, die bisher nicht in einem Schlachtfeld Szenario zentral zu steuern sind und zum Teil konventionelle Waffensysteme wie Kriegsschiffe und – Flugzeuge ersetzen sollen. Des Weiteren sollen autonom agierende Drohnenflugzeuge und – Schiffe im Zuge des Replicator-Programms entwickelt werden. KI soll auch die Voraussagen für politische und militärische Entwicklungen optimieren, der Direktor der National Geospatial-Intelligence Agency geht davon aus, “dass wir zeitnah zu 100 % maschinengenerierte Informationen an die Kommandostäbe weitergeben werden”. Als vorbildlich gilt das US-Unternehmen Rhombus Power, das mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80% den Angriff Russlands auf die Ukraine mit 4 Monaten Vorlauf vorausgesagt habe. Mittlerweile hat dieses Unternehmen Verträge mit Taiwan abgeschlossen, die auf die Möglichkeiten einer Invasion durch die VR China abzielen.
Noch gilt eine strikte Trennung von KI Anwendungen im militärischen Kontext zwischen der Anwendung im konventionellen und dem nuklearen Bereich. Allerdings betonen militärische Experten, dass es durch die zunehmende Komplexität und neue Entwicklungen wie Hyperschall-Gleitflugkörper, die keine ballistische Flugbahn mehr haben und daher nicht verfolgt werden können, immer schwieriger werde, die gesamte Situation im Konflikt der Großmächte durch Menschen zu beurteilen, außerdem gehe man davon aus, dass das russische “Dead-Man” – System, dass die Durchführung eines nuklearen Vergeltungsschlages trotz Ausfall der militärischen Befehlskette sicherstelle, nach wie vor betrieben werde. Die USA müssten dies unbedingt bei ihren Planungen und Programmen berücksichtigen. Angesichts der sogenannten “Chancen und Risiken” einer KI gestützten Kriegsführung scheint das Prinzip Hoffnung unter den militärischen Verantwortlichen der USA zu herrschen: Ein Verzicht auf die volle Integration von KI in alle militärischen Bereiche, einschließlich der Nuklearwaffen, sei schlicht nicht möglich, da man sonst im Konflikt mit Russland und der VR China hoffnungslos ins Hintertreffen gerate, auf der anderen Seite seien die Entscheidungsprozesse der neuesten Generationen von KI von Menschen gar nicht mehr en détail nachzuvollziehen. Die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) wurde daher damit beauftragt, den Algorithmus der KI Modelle besser nachzuvollziehen, da man festgestellt habe, dass diese zum Teil dazu neigen, zu “halluzinieren”. Am Ende bleibt also nur noch die Hoffnung auf ein postmodernes “Gottesurteil”: Das die KI gestützten Systeme die Schäden durch einen nuklearen Schlagabtausch für so groß einschätzen, dass ein “Sieg im Atomkrieg” nicht möglich sei und deshalb den nuklearen Flächenbrand nicht auf die Tagesordnung setzen.
Genauso wie der militärische Konflikt heute ein asymmetrischer ist, ist auch der Klassenkonflikt heute asymmetrischer Natur.
Es gibt nicht mehr den „großen Streik” oder die große Schlacht, den Sturm auf den Winterpalais, der “die Entscheidung” bringt. Macht wird nicht mehr in überschaubaren Konflikten erobert oder verloren, sondern in mäandernden Konflikten ständig neu austariert und verlagert. Das definiert wesentlich die Begrenzungen der weltweiten Revolten seit 2010 mit, das Fehlen eines „revolutionären Horizonts”. Die traditionelle Linke ist gefangen in ihrer eigenen Geschichtlichkeit und unfähig dies zu begreifen oder zumindestens anzuerkennen, u.a. weil sie damit ihre eigene Bedeutungslosigkeit als “Lokomotive der Geschichte”, als formelle Partei, die die revolutionäre Umwälzung zu organisieren in der Lage ist, annehmen und sich abschaffen müsste – um das zu werden, was zu sein sie vorgibt.
Es geht nicht um den alten Widerspruch, die alten Konflikte, die Spaltungen der Ersten Internationalen, die diversen Wurmfortsätze der Balztänze der Trotzkisten, Leninisten, oder etwa sogar um den Primitiv-Kommunismus der Maoisten. Es geht nicht um den Konflikt der “kommunistischen Galaxie” mit der “anarchistischen Galaxie”, dem Gegensatz zwischen der “Propaganda der Tat” und “Organisierung der Massen”. Es geht nicht um die Frage der “richtigen Avantgarde“ oder ihrer Überflüssigkeit.
Revolutionäre Theorie auf der Höhe der Zeit heisst sich nicht mehr blenden zu lassen von ideologischen Schachbrettmustern, die höchstens zweidimensional zu denken und analysieren in der Lage sind, während es mittlerweile nicht nur eine dritte, sondern sogar schon eine vierte Dimension zu berücksichtigen gilt. Die Verschmelzung des menschlichen Kosmos mit der Intelligenzmaschine, die der menschliche Geist geschaffen hat, ist irreversibel, so bedauerlich das auch sein mag.
Es wird keine Welt ohne Internet mehr geben, die Menschen werden ihre Smartphones nicht in die Feuer der Mülltonnen schmeißen, die während der zukünftigen Aufstände auf den zentralen Plätzen die Nächte erhellen werden. Der Algorithmus ist in die Welt gekommen und wird uns nicht mehr verlassen. Jegliche gegenteiligen Aufrufe mögen aller Ehren wert sein, sind aber geschichtlich ebenso zur Aussichtslosigkeit verdammt wie die Bemühungen der Maschinenstürmer des frühen 19. Jahrhunderts. Der Anarcho-Primitivismus des 21. Jahrhunderts ist eine bequeme moralische Haltung, der keinerlei grundsätzliche Verantwortung innewohnt, weil er keine realen Optionen auf die Zerschlagung der Herrschaftsformen anzubieten weiß.
Ob es ein Jenseits des binären Codes überhaupt gibt, ob ein solcher Ort überhaupt noch denkbar ist, wie es französische Gefährten schon vor Jahren thematisiert haben, muss ernsthaft bezweifelt werden. Daraus eine Haltung zu generieren, die sich dem allgegenwärtigen Defätismus andient, ist nicht die Lektion der Stunde. Es muss erst überhaupt sag – und denkbar werden innerhalb derer, die sich in den letzten 15 Jahren mit der Frage der aufständischen Theorie befassen, dass die Dinge so sind, wie sie nunmal sind. So wenig uns das auch gefallen mag.
Der Widerspruch zwischen dem tiefen Bedürfnis großer Teile des Weltproletariats (gerade jenseits “Wohlstandinseln”, die allerdings auch dabei sind, in sich selbst zusammenzufallen, zu implodieren) sich dieses System endgültig vom Halse zu schaffen und der absoluten Unfähigkeit, sich überhaupt vorstellen zu können, wie dies zu bewerkstelligen ist (was die berühmte Frage “Was danach?” beinhaltet) muss nicht zwangsläufig als Defizit, als Makel empfunden oder wahrgenommen werden. Wenn sowohl “Das Ende der Geschichte” nur noch eine geschichtliche Randnotiz ist – als auch unsere Vorstellungen eines revolutionären Prozesses, der Austragung des Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, nicht mehr den realen gesellschaftlichen Prozeß erfassen können, wird eine grundsätzliche Neubestimmung nicht länger zu vermeiden sein. Die Frage von “lebendiger” und “toter” Arbeit stellt sich, und das nicht nur als Wortspiel, im Zuge der Allgegenwärtigkeit von KI völlig neu. KI wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einfach eine weitere Herrschaftstechnologie sein, sondern sich in die gesellschaftlichen Prozesse selbst einschreiben. Die Revolution wird mit und nicht gegen sie gemacht werden müssen. Sorry! Was nicht ihre Endlichkeit in zukünftigen Gesellschaftsformen ausschließt, so wie die ausgebeutete Klasse letztendlich sich ebenso selbst wie jede Form der Klassenherrschaft abschafft.
Dies sind alles nur sehr grobe Skizzierungen des historischen Ortes, an dem wir uns wiederfinden. Ein Ort, den wir uns nicht ausgesucht haben. Eine Existenz, die eine Zumutung darstellt. Aber das Terrain, auf dem die zukünftigen Kämpfe ausgetragen werden. Die Geschichte fragt nicht nach unseren Bedürfnissen, es gilt, sich wieder die Mittel anzueignen, um überhaupt selbst Geschichte schreiben zu können. Hin und hergerissen zwischen einer dystopischen Vorstellung der zukünftigen Welt, den Erfahrungen der alptraumhaften Machteroberung der diversen sozialistischen Experimente und dem Hoffen auf einen im historischen Materialismus begründeten ‘Sieg’, gilt es wie Stanislaw Lem sich die Welt ‘nach der Katastrophe’ vorzustellen. Uns treiben die gleichen quälenden Fragen um wie Kris Kelvin in ‘Solaris’. Unsere geheimsten Träume und Sehnsüchte drohen zu einem einzigen Alptraum zu werden, zu einem moralischen Dilemma, das uns zutiefst erschüttert und überfordert. Aber das ist der Stoff, aus dem das menschliche Leben gemacht ist. Das Absurde fällt uns immer an, wenn wir unsere Gedanken wirklich zu Ende bringen, es uns gestatten, unliebsame Wahrheiten und Wirklichkeiten gelten zu lassen.
Aber wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Sebastian Lotzer
Berlin, den 29. September 2025