Last Action Hero [Part 2] Die nihilistische Commune

“Sie konnten nie begreifen, dass die Commune eine Barrikade und keine Verwaltung war.“ 

Prosper-Olivier Lissagaray

Vom Tahrir Platz über die Versammlungen und Aufmärschen der Gilets Jaunes bis zu den Temporären Autonomen Zonen der Aufstände in Frankreich nach dem Mord an Nahel (das eigene Territorium temporär ausgeweitet und befreit von der Besatzungsmacht der Bullen), seit fast 2 Jahrzehnten konstituiren sich die Aufstände, die gekommen sind, als nihilistische Commune. Sich jeglicher Repräsentanz verweigern außerhalb ihrer selbst (es muß erinnert werden an jene kläglichen Gestalten, die versuchten, als selbsternannte Vertreter der Gelbwesten in Partei-Apparaten Karriere zu machen und in der Folge handfest von den Aufzüge der Gilets Jaunes vertrieben wurden), ohne Forderungskataloge jenseits von Würde, Freiheit, Brot und Sturz des Regimes, bleiben sie sich selbst und ihrer nihilistischen Verschwörung treu, bis in ihre bittersten Tage der Niederlage hinein. Es gibt nichts zu verhandeln, Freiheit oder Tod, sie beerben ehrenvoll ihren historischen Bezugspunkt, die Pariser Commune, über die Marx in “Der Bürgerkrieg in Frankreich” sagt:

Die Arbeiterklasse verlangte keine Wunder von der Kommune. Sie hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß, daß, um ihre eigne Befreiung und mit ihr jene höhre Lebensform hervorzuarbeiten, der die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigne ökonomische Entwicklung unwiderstehlich entgegenstrebt, daß sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen…” 

Im Angesicht der gegenwärtigen Epoche; der ökologischen Verwüstung, der allgemeinen Tendenz zum Krieg, die Faschisierungstendenzen in Staat und Gesellschaft, der Umschreibung der menschlichen Syntax durch die allgegenwärtige KI; kann man sich seinen Untergangsfantasien hingeben, jene depressive Erlösung einer sich historisch überlebten Linken, die regressiv ihren eigenen Untergang mit dem Ende der Welt gleichsetzt, oder sich der Schärfe und Explosivität des Zusammenpralls des Klassenantagonismus stellen.

Die Aufstände der letzten Jahre haben teilweise einen schrecklichen Blutzoll zahlen müssen, gescheitert sind sie aber allesamt nicht an der brutalen Repression, die sie erst im Gegenteil zur vollen Entfaltung getrieben haben, sondern an ihren politischen Begrenzungen. Ihr Nihilismus speiste sich aus dem vollen Bewußtsein darüber, dass es ihnen nicht möglich war, ihre regionalen Begrenzungen (die Commune) zu überwinden, auch wenn es einen internationalen Bezug in Form von Symbolik und Memes gegeben hat. Sowie aus dem Bewusstsein, dass sie noch nicht in der Lage waren, ein revolutionäres Programm zu formatieren, das das revolutionären Programm der historischen Partei, der wirklichen Bewegung zur Umwälzung aller bestehenden Verhältnisse –  in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist – hätte sein können. 

Ihr Nihilismus speiste sich also aus einer realistischen, fast demütigen Analyse der eigenen Unfähigkeiten zur politischen Programmatik jenseits jeglichen reformistischen Horizonts. Da sie von der sich historisch überlebten Linken nichts mehr zu erwarten hatten und sich dessen ebenfalls bewusst waren, schreiben sich in diesen Niederlagen, die aufgrund der regionalen Begrenzungen nur taktischer, nicht strategischer Natur waren, ihre politischen Begrenzungen sein. Realer Ausdruck des gegenwärtigen Klassenantagonismus, was unter den Bedingungen der Verwertungskrise des Kapitals keinen Spielraum zur Umverteilung lässt, müssen die nihilistischen Kommunen sowohl als Moment der Selbstbehauptung, als Ausdruck eben jenes Klassenantagonismus und als historische Suchbewegung verstanden werden. 

“Anstatt auf die jüngsten Aufstände in einem rein negativen Sinne zurückzublicken und ihre Grenzen als Folge falscher Ideen zu verstehen, betrachtet die partisanische Untersuchung diese Misserfolge in erster Linie als materielle Grenzen, die sich taktisch ausdrücken und auch eine treibende, subjektive Kraft in sich tragen. Infolgedessen können sie in einem positiven Sinne als angesammeltes Repositorium kollektiver Experimente gelesen werden, wenn auch nur insofern, als diese Experimente dazu dienen, zukünftige Revolutionszyklen zu beeinflussen.” 

Phil A. Neel – Theorie der Partei 

Jede reale Bewegung entsteht immer und ausschließlich in der Praxis, das gilt ebenso für identitäre, subkulturelle Ausprägungen, als auch besonders für die revolutionäre Bewegung, die sich erst in dem Gefolge des weltweiten Umbruchs von 1989, der bis heute nachhallt und dessen Bedeutung in den derzeitigen Überlegungen und Untersuchungen häufig vernachlässigt wird, finden und neu zusammensetzen muss, um dann Ausdrucksformen zu finden, die sie in die Lage versetzt, den revolutionären Horizont wieder aufzureissen. Die nihilistische Commune ist das gesellschaftliche Labor, in dem die revolutionäre Bewegung die Erfahrungen sammelt, die sie dazu befähigt. So wie in jenem legendären Text von 2007 die Gefährten schrieben, dass “wir uns nicht mehr vorstellen können, wo er (der Aufstand) beginnt”, so muss es heute heißen, dass wir uns gar nicht mehr vorstellen können, wann und wo die Revolution beginnt.  

Doch wir leben in vorrevolutionären Zeiten. Es gilt, sich nicht blind machen zu lassen für diesen Wind, der weht

wird fortgesetzt…