Unsere Leichen leben noch

I have changed my name so often

I′ve lost my wife and children

But I have many friends

And some of them are with me

Leonard Cohen, The Partisan

Ein kühler Samstagabend in Kreuzberg. Das niedersächsische SEK lungert mittlerweile in Bereitstellungsräumen herum, in den Medien jeden Tag neue RAF Pornos, in denen der Voyeurismus der stumpfen Massen mit intimen Details über schmuddelige Sofaüberwürfe und schlechten Möbelgeschmack gefüttert wird. Der Ausnahmezustand, der im Corona Modus zum permanenten wurde, erlebte seine Wiederauferstehung im besiegten Nachfolgestaat des NS in den 70er Jahren bei der Killfahndung nach den Kadern der Stadtguerilla, bzw. im polizeilichen Kreuzfeuer, dass das Leben von etlichen Unbeteiligten forderte, die fälschlicherweise für solche gehalten wurden. Dass der Prozess der Staatsfaschisierung eben auf jeden fundamentalen Widerstand zielte, erlebte im Herbst 1977 auch die Anti-AKW Bewegung, als bundesweit über 10.000 Bullen, teilweise mit Maschinenpistole im Anschlag um die 75.000 (!) Fahrzeuge durchsuchten, um eine Demonstration gegen den schnellen Brüter in Kalkar zu verhindern, die dann trotz Verbot und Ausnahmezustand mit 50.000 Menschen direkt am Bauzaun stattfand. „Unsere Leichen leben noch“ weiterlesen

Menschenjäger, Schreibtischtäter

“Und jetzt lag er hier, gute zehn Jahre später und wusste um all die Zusammenhänge, sah den roten Faden, der sich durch sein Leben zog. Wusste alles und doch nichts. Dachte an alle, die da noch draußen in Illegalität unterwegs waren. Die untergetaucht waren, weil sie etwas grundsätzlich Anderes gesucht hatten oder einfach nur weil ihnen die Bullen dicht auf den Fersen waren. Es machte keinen Unterschied. Für sie alle gab es keinen Weg zurück mehr. Nicht in absehbarer Zeit.”

Die schönste Jugend ist gefangen, S. Lotzer 2019

Blendschockgranaten auf dem Wagenplatz, im Minutentakt überschlagen sich die Meldungen der Medien von der Menschenhatz in der Stadt, die ihre Seele schon vor langer Zeit an den Meistbietenden verkauft hat. Ein paar Worte der Liebe und Verbundenheit auf einer alten Sperrmüllmatraze eine Staatsaffäre. Das System wird jenen, die es gewagt hatten, aufzuzeigen, das der Kaiser wirklich nackt ist, wenn mensch es ernst meint mit dem “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist”, genau dieses Bloßstellung niemals verzeihen.

Die Hybris der Allmacht angekratzt, man kann eine unendliche Anzahl an Buchseiten mit den Verirrungen, Irrtümern, den Unmenschlichkeiten, auch und gerade unter denen, die aufgebrochen waren in den bewaffneten Antagonismus, später in den Frontprozess, füllen, aber da bleibt diese klammheimliche oder sogar offene Freude über die Sprünge im Panzerglas.  „Menschenjäger, Schreibtischtäter“ weiterlesen

Be Water My Friend

Die Dunkelheit fällt über die Stadt, im Minutentakt Sirenen am Kotti, ein Bullenhubschrauber steht über den Dächern, der übliche Partymob ist heute woanders unterwegs. Der Himmel beginnt sich in allen Farben des Feuerwerks zu färben und es sind noch fast sechs Stunden bis Mitternacht. Wer nichts hat oder alles verloren hat, vertreibt die Geister der Armut für ein paar Stunden. Mit jedem Schuss in die Sterne, die kein Versprechen halten. 

Am Zickenplatz ist der Kinderspielplatz von den Bullen mit Flutlicht geflutet, jeder Strauch ein potentieller Verbrecher. Am Kottbusser Damm zirkulieren jetzt die Wannen im Minutentakt, in der dunklen Seitenstraße die mattgrauen Transporterkolonnen der Bundespolizei, Warlords auf fremdem Territorium.  

An der Mündung zur Sonnenallee die Festung der Besatzungstruppen. Absperrgitter, Flutlicht, Wannen und Bullen so weit das Auge reicht. Der Bürgermeister und die Innensenatorin machen ihre Aufwartung, die Koalition der Willigen. Das jugendliche Surplusproletariat kümmert sich einen Scheiß um die Checkpoints, über Seitenstraßen und Hinterhöfe füllt sich der nicht mit  Flutlicht geflutete Abschnitt der Sonnenallee und um Mitternacht erleuchtet ein fulminantes Feuerwerk die ganze Strecke bis weit hinaus zur High Deck Siedlung, wo mehrere Hundertschaften auf der Lauer liegen.   „Be Water My Friend“ weiterlesen

Berlin grüsst Athena

“Kriegt raus, wo die Heime sind und die kinderreichen Familien und das Subproletariat und die proletarischen Frauen, die nur darauf warten, den Richtigen in die Fresse zu schlagen. Die werden die Führung übernehmen. Und lasst euch nicht schnappen und lernt von denen, wie man sich nicht schnappen lässt – die verstehen mehr davon als ihr.

Die Klassenkämpfe entfalten. Das Proletariat organisieren.

Gudrun Ensslin – Die Rote Armee aufbauen, Juni 1970 

Das Geschrei ist groß, der kleinbürgerliche Mob tobt in den Netzwerken und Medien, Faschisten und Grüne in der Sache endlich vereint. Der Gesundheitsminister hat den permanenten Ausnahmezustand der Pandemie völlig verinnerlicht, wer Einsätze von Bullen und Feuerwehr behindert, soll gefälligst aus seiner Wohnung geworfen werden. 

Jeder, der wissen wollte, wusste was passieren wird. Wer auf den Straßen dieser Stadt unterwegs ist, sich außerhalb seiner Wohlfühlblase bewegt, sich mit den proletarischen Jugendlichen unterhält, wusste, dass die Nacht der Abrechnung gekommen war. Fast drei Jahre Pandemie Ausnahmezustand, überall Schikanen, Repression und Bullen, jetzt die nächste solidarische Anstrengung der Gesellschaft, alle haben Opfer für den gerechten Krieg aufzubringen. Da wo die Kohle am Monatsende eh nicht reicht, reicht sie nicht mal mehr für den halben Monat. Der alltägliche Rassismus der Bullen, die Armut, der du nur entkommst, wenn du dir auf kreative Art und Weise dein Geld jenseits der bürgerlichen Spielregeln verdienst. Du bist der Abschaum der Gesellschaft, bildungsfern hört sich eleganter an als asoziales Milieu, meint aber dasselbe.  „Berlin grüsst Athena“ weiterlesen

Post Covid Riot Prime Manifest (3) – Roter Oktober 

Zwanzig  abschließende Anmerkungen zu den gegenwärtigen Konfliktualitäten und Perspektiven.

 

“Es bedeutet zu behaupten, dass wir aufrichtig sind, mit unseren Kinderaugen in dieser nicht zu rechtfertigenden Welt; wenn jemand jemanden angreift, wird jemand jemanden angreifen.“

Manifest der Jugend (1)

Einundvierzig. Es war ein heißer Sommer. Die Taktung der Aufstände machte schwindelig, die Winterpaläste zu erobern erfolgte handstreichartig wie auf Sri Lanka, aber: Es kommt vor, dass Aufstände nicht direkt vom Staat besiegt werden, sondern vielmehr durch den Schock ihres eigenen Sieges. Als die Bewegung ihren eigenen Sieg betrachtete, schien sie wie gelähmt.” (2) Wie bereits im ‘Post Covid Riot Prime Manifest – Next Level’ konstatiert: “Nicht reif für den Bürgerkrieg, örtlich begrenzt, idealisierend in ihrer Verhaftung des Commune Charakters gelang nicht der notwendige Sprung in die neue Qualität der Klassenauseinandersetzung. Aber selbst wenn dieser Sprung zukünftig gelingen wird, wir also real die vorrevolutionäre Qualität erfahren, mit allen Sinnen, stehen wir vor dem Dilemma, wie sich diese neue Qualität ausdrückt, ihre Form findet”. (3) 

Gewisse Kreise in Frankreich, aus denen die Autorenkollektive Tiqquin und das Unsichtbare Komitee entstammen, bereisten verschiedene Orte des militanten Dissens, beschäftigten sich intensiv u.a. mit den Erfahrungen der italienischen Autonomia, bevor sie ihre Analysen und Vorschläge veröffentlichten. Verbleiben wir für einen Augenblick an diesem letztgenannten Ort, versuchen wir noch einmal unseren Fokus auf jene Klassenauseinandersetzung der 70er in Italien zu richten.  „Post Covid Riot Prime Manifest (3) – Roter Oktober “ weiterlesen

No Future (Upload 1. Mai 2022)

Letztes Jahr noch “wir sind friedlich”, nun also “Yalla Klassenkampf” mit jede Menge Nationalfahnen vorneweg, dahinter irgendwelche Neo-Stalinisten- Maoisten-Leninisten, was auch immer. Die Aufmärsche der K Gruppen in den 70er an gleicher Stelle waren nicht schlimmer. Alles trottet brav vor sich hin, der sogenannte anarchistische Block, zu dem mit dem wohl hässlichsten 1. Mai Plakat ever mobilisiert worden war, platziert tatsächlich zwei Rauchtöpfe vor dem Bullenrevier in der Sonnenallee, darf dann endgültig im fetten Spalier laufen. 

Ein paar Anwohner freuen sich über die Demo, was von den Organisatoren des Spektakels gefeiert wird als wäre das eine Weltneuheit. In 36 schieben die Bullen unterdessen die Abertausenden von Partyleuten, die in den Kiez eingefallen sind, als wären Myfest und Love Parade auf einen Tag gelegt worden, von der Demoroute. Dr. Motte legt dann auch tatsächlich auf dem Mariannenplatz auf, bekannt aus Funk und Fernsehen für seine antisemitischen und homophoben Ausfälle. Alles egal, Hauptsache irgendwas mit Future. 

Irgendwann kommt die “revolutionäre” 1. Mai Demo am Kotti an, rechts und links drängeln die Bullen, die aus den Seitenstraßen strömen, mit Wannen und Gittern ist ein Flaschenhals konstruiert worden, wie eine Viehherde wird die Masse in den Pferch getrieben, fein separiert vom schaulustigen Publikum. Der Oranienplatz in alle Richtungen abgeriegelt, als die erste Rangeleien beginnen, leuchten die mobilen Flutlichtmasten auf, im grellen Licht gleiten die Greiftrupps wie Buttermesser in die vorgewärmte diffuse Masse, am Ende um die 100 Festnahmen für nichts außer ein, zwei Farbeier und ein paar Flaschen. Die Demo Orga verdünnisiert sich irgendwann mit ihrem Lauti, nicht ohne noch im Großkotzlabermodus vom starken ersten Mai auf den Straßen Berlins zu labern, während daneben die Leute reihenweise zu Boden zu gehen.   „No Future (Upload 1. Mai 2022)“ weiterlesen

Post Covid Riot Prime Manifest (2) – Next Level 

Zwanzig weitere Anmerkungen zu den gegenwärtigen Konfliktualitäten und Perspektiven

Einundzwanzig: Die Imaginäre Partei muss aus dem Schatten treten und real werden. Darunter geht es nicht. Zu dem Faktor der Zeit, auf den wir schon im PCRPM 1 eingegangen sind, die Auslöschung der Welt, wie wir sie kennen, durch die Barbarei, die sich Zivilisation nennt, kommt jetzt die Zuspitzung des innerimperialistischen Krieges, der sich vorerst in der begrenzten Konfrontation in der Ukraine materialisiert, in sich aber die Tendenz und Möglichkeit der Ausweitung und Generalisierung trägt. In der Totalität des Krieges werden viele unserer Waffen aus den Aufständen der letzten 15 Jahre stumpf werden und da die Linke historisch gescheitert und sich im Begriff der Auflösung befindet (indem sie Teil der Macht wird oder gesellschaftlich bedeutungslose Sektiererei) existiert keine reale Kraft, die jenseits von Symbolik (Sabotage, Fahnenflucht, humanitäre Hilfe, hilflose, appellative [Massen]demos) Gegenmacht in dieser historischen Zuspitzung zu konstituieren in der Lage ist. Da der innerimperialistische Krieg, jenseits aller damit verbundenen Grausamkeiten, ganz konkret die Bedingungen der Klassenkampfes signifikant zu unseren Ungunsten verändert und den Horizont des Aufstandes verdeckt, müssen wir jetzt in eine neue Epoche eintreten, unabhängig davon zu wissen, wohin dieser Sprung führen wird. In den Abgrund oder in die Fähigkeit auf dem Niveau der konkreten historischen Situation agieren zu können. 

“Die intensivsten Kämpfe unserer Zeit stehen an einem Abgrund und kehren dann um. Weiter zu gehen würde bedeuten, ins Unbekannte zu springen. Niemand will der erste sein, der springt, um zu sehen, ob er Neuland entdeckt oder sich einfach im freien Fall wiederfindet. Wir wissen noch nicht, wie schließlich eine Situation geschaffen wird, die jedes Umkehren unmöglich macht und in der die Bedingungen selbst schreien: ‘hic Rhodus, hic salta!’“ (1)  „Post Covid Riot Prime Manifest (2) – Next Level “ weiterlesen

B.1.1.529

Dunkle Nächte, die die grauen Tage ablösen, der erste Schnee, der vergeblich fällt, kein weißes Leuchten in der Nacht, nur Matsch grau in grau. Eine Zigarette vor der Haustür, die nasse Kälte kriecht durch die dicke Jacke. Die alte Nachbarin wieder zurück, ein dreiviertel Jahr war sie weg, niemand wusste genaueres in diesem Haus, in dem man die Briefkästen nicht zählen mag, so viele sind es. Kerzengerade steht sie da im Hausflur, die mädchenhafte Figur, die graublauen Augen, die schon ein Schleier bedeckt. Hüftbruch sagt sie, dachte schon man werde sie ins Heim abschieben. Du erinnerst dich an den Sommer, der schon so lange her scheint, sie rauchend auf der Bank vor dem Haus, “der Arzt sagt ja, ich soll nicht mehr”. Und dann hast du in 20 Minuten mehr über das Leben gelernt, als wenn du es jahrelang studiert. Nur einfach durchs Lauschen. Nun also ist sie wieder da, dein Herz schlägt schneller, als du sie da vor ihrer Wohnungstür stehen siehst, läuft über vor Zärtlichkeit, als ob eine alte, große Liebe zurückgekehrt ist. Vorsichtig nimmst du sie in den Arm, willst sie da für immer halten, so zerbrechlich scheint sie dir. 

Und ist immer noch ungeimpft, was sollst du ihr erzählen von mRNA, sie wird dich anschauen wie einen Außerirdischen. Aber jetzt ist sie Abschaum, der weg kann, kann nirgends mehr hin, selbst wenn sie wollte und könnte. Der Seniorentreff im Haus war lange zu, jetzt erst 3 G, dann 2 G. Verschlossen für sie, ein weiterer Winter Einsamkeit. “Es muss jetzt ungemütlich werden für Ungeimpfte”, “Geiselnehmer”, “Tyrannen”, wer aber wird ihre Tränen zählen, wenn sie wieder alleine in der Wohnung ist, die Dämonen kommen und sie umkreisen. Und du kannst sie nicht ewig im Arm halten, um die Geister zu bannen, eigentlich kennst ihr Euch nicht wirklich, aber du darfst sie trotzdem kurz halten. Was für eine Ehre. Dann lässt du sie zurück, du musst. Arbeit. Weitere Schicksale, so viel Einsamkeit, so viel Schmerz, aber kaum eine Träne. Warum weint eigentlich fast nie einer, warum immer nur das treten nach unten, die hohlen Phrasen, wo jeder doch nur für sich und seine Blase, genetisch oder sozial, gerade steht.  „B.1.1.529“ weiterlesen

Berlin meine Schöne

Mein Gespräch, meine Lieder

mein Hass und mein Glück

mein Tag, meine Nacht, mein Vor, mein Zurück

meine Sonne und Schatten, Zweifel, die ich hab

an dir und in mir bis zum letzten Tag

deine Straßen, wo ich fliehe, stolper und fall

deine Wärme, die ich brauch, die ich spüre überall

Klaus Hoffmann – Berlin 

Zickenplatz im Dunkeln, ferne Erinnerungen, alte Geschichten, tolldreiste Nächte, wilde Fluchten, heute hängen die Straßen und Bürgersteige voller Menschen, alles ganz ruhig, aber das ist nur die Konzentration, der Moment sich zu sammeln vor dem Sprung. Dann knallt Body Count aus dem Lautsprecher, und alles setzt sich in Bewegung, schnell, aber nicht hektisch. Eine schwarze Menge, die sich durch die Straßen schiebt. Die ersten Fenster zersplittern, dieses dumpfe Dong, wenn der Stein aufprallt, dass du tausend mal gehört hast und das du nie wieder vergessen wirst wie das Rauschen des Meeres oder den Atmen des Geliebten im Bett neben dir. 

Irgendwo laufen die Bullen seitlich mit, Pyros, Knaller und Steine fliegen ihnen um die Ohren. Eine Scheibe nach der anderen fällt in sich zusammen, du findest die alten Gefährten, wie selbstverständlich, kurze Umarmungen, du schlüpfst in dein alte Haut, das verwaschene Halstuch, an dem du so hängst, bedeckt jetzt dein Gesicht. Scherze unter alten Männern, die Wehwehchen, die vergessen sind, die morschen Knochen, die noch einmal tanzen.  „Berlin meine Schöne“ weiterlesen

Kein Ort. Nirgends. – Zum 40. Todestag von Klaus Jürgen Rattay

Es ist der 21.9.1981. Für den morgigen Tag hat der Berliner Senat die Räumung mehrerer besetzter Häuser angekündigt, es ist der erste große Angriff auf die Westberliner Hausbesetzer Bewegung, die zu diesem über 160 Häuser besetzt hält und Tausende zu ihren Demonstrationen und Aktionen mobilisieren kann. In dem Viertel am Schöneberger Winterfeldtplatz, in dem neben Kreuzberg das zweite Herz der Bewegung schlägt, sollen gleich mehrere Häuser geräumt werden, hunderte Unterstützer*innen und Schaulustige haben sich hier versammelt. Ein junger Mann, eher noch ein Junge, trotzig in Vollbart und Lederjacke, steht im Hinterhof der besetzten Häuser in der Winterfeldtstraße, der eigentlich eher eine große Freifläche denn ein Hinterhof ist, denn viele der Häuser, die den Krieg überstanden haben, sind schon im Laufe der letzten Jahre abgerissen worden. Die Berliner Abendschau hat ein Filmteam in die Winterfeldtstraße entsandt, man will Impressionen vor dem großen Showdown sammeln. Ruhig und sachlich spricht der Junge in die Kamera: Er sei aus der Provinz nach Berlin gekommen, habe keinen Bock mehr auf eine Arbeit, bei dem ihm der Meister zusammenscheiße und überhaupt sei die Sache mit der Maloche Mist. Er wolle sich an den Hausbesetzungen beteiligen, fände den Zusammenhalt und die Solidarität und auch die Sache mit dem Kiffen, und da umspielt ein wunderbares Lächeln seine Lippen, eine prima Sache. Auf Nachfrage räumt er ein, dass er auch Angst vor dem morgigen Tag habe, ist sich nicht zu stolz, zu sich, zu seinen Gefühlen zu stehen. Markiert nicht den straighten Fighter, der er gar nicht ist. Aber er habe auch Mut zu kämpfen, betont er noch. Nicht einmal vierundzwanzig Stunden später ist der Junge tot. Sein Name war Klaus Jürgen Rattay. „Kein Ort. Nirgends. – Zum 40. Todestag von Klaus Jürgen Rattay“ weiterlesen